Es gibt so Momente, da bin ich nicht sicher, ob ich das, was ich zu hören bekomme, witzig und genial finden soll oder einfach nur unverschämt. Vergangene Woche war so einer – und nein: Es geht nicht um mich. Niemand war ungehörig zu mir, nicht mal die eigenen Kinder, und das will was heißen.
Es geht lediglich um Werbung…
Worum ging’s?
Sie kennen sicher die Empfehlung, in der digitalen Welt bei der freiwilligen Bereitstellung der eigenen Daten Vorsicht walten zu lassen. Das ist nicht unbegründet, muss an dieser Stelle allerdings nicht zum 100. Mal wiederholt werden. Die Warnung der Web-Kritiker reicht bis zur totalen persönlichen Apokalypse, weil man auf irgendwelchen Party-Pics volltrunken die Hosen heruntergelassen hat. Das schlimmste aller Dinge, die passieren können, aber ist: „Wer alles von sich preis gibt, muss sich nicht wundern, wenn er zielgerichtet auf sein Profil Werbung ins Haus bekommt.“
Was, so frage ich mich, ist so schlimm daran? Bin ich nicht alt genug, zu entscheiden, ob ich ein Produkt kaufe oder nicht, und wenn die Werbung noch so auf mich zugeschnitten ist. Noch bin ich derjenige, der den analogen oder digialen Warenkorb füllt.
Jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte und ein bestimmtes Programm anschaue, läuft Werbung, die speziell für mich und meines gleichen in diesem Umfeld eingebucht wurde. Jede Anzeige richtet sich an die Leser der Zeitung, die ich gerade in der Hand halte. Und trozdem: Ich allein treffe die Entscheidung und muss sie verantworten, ob ich aufgrund einer zielgerichtten Werbebotschaft etwas kaufe oder nicht. Was soll also das ganze Geschnattere?
Und hier kommt ein Beispiel von Marktforschung und wir kehren zurück zur einleitenden Frage „Ist es genial oder ist es unverschämt?“

Ich treffe mich mit dem Vermarkter eines Radiosenders. Wir plaudern über Allgemeines und Besonderes, letzteres interessiert mich besonders. Nicht, dass ich es auf Insider-Wissen abgesehen haben, aber man lernt bekanntlich nicht aus und das Geschäftsgebaren anderer Unternehmen interessiert mich immer brennend. Vor allem, wenn es um Werbung geht?
Wir reden über Sender- und Hörerprofile, Zielgruppengenauigkeit und das Bauchgefühl, das beim Buchen von Werbung immer auch eine Rolle spielt. Dann erzählt er mir, dass ein namhafter PKW-Hersteller zur Optimierung seines Mediamixes eine eigene ganz spezielle Marktforschung angestrengt hat. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, auf welchen Sendern die Fahrer dieser Marke unterwegs sind, wurden die gesamten Vertragswerkstätten zur informellen Mitarbeit gebeten.
Die Aufforderung: Jedes Auto, das zur Inspektion oder Reparatur in die Werkstatt gebracht wurde, solle bitte eingehend geprüft werden: Welche Sender sind im Autoradio eingespeichert, auf welchen Speicherplätzen liegen sie, ist der Halter männlich oder weiblich.
Was heißt: Mit diesen Daten wollte der Automobilhersteller sicher gehen, dass seine Spots auf dem richtigen Sender laufen. Getreu der Deivse: Auf Speicherplatz 1 liegt der Lieblingssender, auf 2 die erste Alternative, auf 3 der nächstbeste und so weiter.
Die am meisten eingespeicherten Sender werden belegt, die anderen nicht. So einfach geht das. Und dann wundern Sie sich, warum Sie per (Auto)radio permanent die Spots ihrer Lieblingsfahrzeugmarke hören und animiert werden sollen, sich das neueste Modell zu kaufen…
Genial? Unverschämt?
Wenn das Beispiel Schule macht, frage ich mich, wann die Hausärzte, die ans Krankenlager gebeten werden, Marktforschung über die Lieblingsbettwäsche der Deutschen anlegen. Wann werden Heizungsmonteure Daten über Putzmittel und Schuhe, die gern im Heizungskeller gelagert werden, erheben? Wann kommt die Musikindustrie auf den Trichter, dass Werkstätten auch noch überprüfen sollen, welche CDs in den Autos herumliegen? Würden Sie jemand ihre Wohnung auf ihr Konsum- oder Mediennutzungsverhalten durchforsten lassen, Wohl eher nicht, oder?
Und doch versuchen Werbetreibende mit allen Mitteln, strategierelevante Daten zu erheben. Das ist ihr gutes Recht, so lange der Umworbene seine Daten öffentlich macht. Und – wie oben gesagt – entscheidet immer noch der Konsument, ob er etwas kaufen will oder nicht.
Wenn der Werksattbetreiber aber anfängt, solche Daten aus den Autos herauszulesen (selbst wenn sie anonym sind) wer braucht da noch die Datenerhebung via Facebook?
Ich jedenfalls habe mein Radio umprogrammiert, obwohl ich ein anderes Fabrikat fahre. Vorsorglich versteht sich. Falls ich mal in eine Vertragswerkstatt fahren muss…

4 Antworten

  1. Mmmm und wenn Auf 1 Bayern 1 programmiert ist und auf 2 Bayern 2 …. und so weiter und nach 5 nur noch rosa Rauschen? Was sagt das der Werbewirtschaft über mich?

    Ich finde diese Datenschnüffelei unverschämt und das ist ein weiteres Argument für mich statt einer Vertragswerkstatt einen Hinterhofschrauber schwarz zu beauftragen, der kann ja dann schlecht die Daten von einem Kunden weitergeben, der nie sein Kunde war.

  2. Genau Alex, bei uns in Bayern ist die Welt halt noch in Ordnung, da sind die Speicherplätze 1-5 klar vergeben, halt mit Bayern 1-5 (der mit den Nachrichten). Der schlaue Marktforscher würde hier natürlich besonderes Augenmerk auf Platz 6 legen. Aber eigentlich ist es eh wurscht. So ein Ansatz zur Datengewinnung ist doch nur wieder das Produkt einer armen Manager-Seele, die verzweifelt nach Absicherung für seine Medien-Mix-Entscheidung sucht. Schließlich muß er ja ständig begründen, für was er die Kohle anderer permanent verschleudert.

    Ich mache es mir da viel leichter: Werbung nur auf dem Sender, den ich mir anhöre – Rock Antenne. Wird schon auch der eine oder andere Kunde hören.

  3. Rock-Antenne ist eine gute Wahl. Nur im Auto nicht einfach …
    Übrigens: Wirklich gute Autos haben den Datenschutz natürlich einprogrammiert. Wenn ich mich recht erinnere, gab es zu meinem Auto einen Werkstattschlüssel, der war nur zum Anlassen und Fahren, der Kofferraum war versperrt und man konnte nicht mal das Radio anschalten. Jetzt wird mir erst klar, wie fair die Firma mit ihren Kunden umging… Michael Kausch weiss, wovon ich spreche 🙂

  4. @ Sebastian: Es wird! Der ganze Münchner Nordosten und von Augsburg bis zum Ammersee und bis kurz vor FFB mttlerweile terrestrisch bestrahlt! Es lohnt sich 87,9 und 99,4 zu speichern.

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