Heute mal ganz und gar analog:

Landbewohner und Menschen, die in  Siedlungsgebieten am Stadtrand leben, kennen das: Alljährlich Ende November veranstaltet die örtliche Kirchengemeinde einen Adventsbasar. Es ist seit Jahrzehnten das gleiche Ritual, es kommt zu  Kämpfen um die Kränze, denn das Angebot ist begrenzt. Nicht, dass man nicht in den umliegenden Gärtnereien, Blumengeschäften oder Supermärkten auch Adventskränze bekommen könnte. Nein! Es MUSS einer vom Adventsbasar der Katholischen Frauen sein. Selbige schaffen natürlich nicht, den Bedarf zu decken, denn der ist riesig. Auf einen Kranz kommen bei uns im Dorf, so schätze ich, mindestens 10 Kaufinteressenten.
Und so ist es kein Wunder, dass regelrechte Kämpfe ausgefochten werden, wer nun das beste Stück ergattert.
Um 11.00 Uhr öffnet der Basar im örtlichen Gemeindezentrum die Toren. Früher geht es nicht, schließlich sollen die Besucher der Messe auch die Gelegenheit haben, an die begehrten Kränze und Gestecke zu kommen. Kann ja nicht sein, dass die ungläubigen Zugezogenen oder gar die sektiererischen Protestanten, die sonntags den Kirchgang verweigern,  einem die besten Stücke wegschnappen, während man selbst noch im Hochgebet sitzt. Das wäre ja noch schöner…
Derweil also die Gemeindemitglieder eifrig aus dem Gottelob jubilieren, mache ich mich auf Beutezug auf – bewaffnet mit meinem Geldbeutel, spitzen Ellenbogen und unbedingtem Siegeswillen. Als ich am Gemeindezentrum ankomme, ist es kurz vor elf. Einige andere  Basarbesucher stehen schon vor der Tür in den Startlöchern. Irgendwie kommt mir das vor wie früher die Bilder vom Sommerschlussverkauf in den Nachrichten.
Die Kirchgänger sind noch immer hinter der Pforte St. Martins zu Gange. Sollen sie. Die Katholischen Landfrauen sperren pünktlich auf, denn sie folgen dem Wort des Herren Klopfet, und Euch wird aufgetan (Lk 11.9).
Die Massen strömen in das Gebäude, mit ihnen werden einige Kuchenspender mit Tupper-Gefäßen hineingezogen.
„Jetzt drängt’s halt nicht so,“ poltert eine Frau los. „Es langt doch für alle!“
Welch ein Irrtum. Möglich, dass das für den Kuchen gilt. Aber nicht für die Kränze. Da reicht es nicht, nur Early Bird zu sein. Da muss man noch früher dran sein.
Platz da…
Ich scanne das Angebot. Kaum mehr als 15 Kränze sehe ich. Das reicht doch im Leben nicht.
Dahinten, der mit dendunkelroten Kerzen, der wär was. Den will ich.
Pech gehabt, eine Frau vor mir zieht ihn raus.
Jetzt ist eine schnelle Entscheidung gefordert.
Orange mit Gewürzdeko? Rot mit Schleifen? Weiß mit silbernen Sternen? Dahinten ist auch noch einer.
Der vielleicht?
Nein, der nicht, der hat eine asymmetrische Kerzenanordnung. Das geht schon mal gar nicht.
Weitere Menschen strömen hinein.
Der Kampf muss entschieden werden. Jetzt.
Unvorstellbar, mit leeren Händen nach Hause zu kommen.
Entweder also jetzt den erstbesten, oder ins Auto steigen und zur Friedhofsgärtnerei fahren und dort einen kaufen.
Kranz ist Kranz.
Eben nicht!
Ich nehme den orangen, rupfe ihn unsanft aus der liebevoll arrangieren Auslage, drücke ihn der Verkäuferin in die Hand und lasse ihn zurücklegen.
Nicht, dass dieser Kranz am Ende noch von jemandem anderen weggeschnappt wird. Das hatten wir schließlich auch schon vor ein paar Jahren.

Geschafft. Ich werde ruhiger.
Derweil streiten sich zwei ältere Damen um den Kranz mit den weißen Kerzen und den Silbersternchen. Wie im Kindergarten. Herrlich.
Die Diskussion der beiden Frauen um den Kranz wird lauter. Ich wünsche mir, dass die Szene noch etwas eskaliert.
Solche Bagatellen können Risse durch Dorfgemeinschaften ziehen, generationenüberdauernde Familienfehden auslösen. Ach, ich liebe das Leben auf dem Lande…
„Ihr werdet’s Euch doch einigen können“, mahnt die Verkäuferin schmunzelnd. Sozialdruck auf dem Land funktioniert eben doch.
Als ich mich auf den Heimweg mache, spuckt St. Martin die Gläubigen aus: Sie marschieren, dem Pfarrer und den weihrauchwedelnden Ministranten hinterher auf den Friedhof. Fahnen, uniformierte freiwillige Feuerwehrmänner, Trachtler und Kapelle folgen. Noch mal die Gräber segnen – es ist schließlich Totensonntag. Hat Allerheiligen nicht gereicht?
So aber werden sie es nie schaffen, rechtzeitig an die Adventskränze heranzukommen. Bis die Katholiken mal durch sind, gibt es nur noch die ungeschmückten Kränze zum Selber-Dekorieren, ein paar Kekskrümmel und den überbordenden Kuchenbasar. Selbegehäkelte Topflappen werden dieserorts nicht angeboten.
Aber das war ja schon immer so, dass die Gemeindemitglieder bei ihrem eigenen Basar ins Hintertreffen kommen.

Oder haben sich etwa Leute mit Beziehungen schon mal die schönsten Stücke von den Landfrauen zurücklegen lassen? Ein geheimes Kränzelager im Pfarrbüro. Wahre Schmuckstücke, die nie zur Auslage kommen sondern unter der Hand schon mal vertickt wurden? Und insgeheim drehen sie dann, wenn sie ihre Kränze am ersten Advent daheim anzünden, den Protestanten mit den weniger schönem Tischschmuck eine lange Nase. Wie eben jedes Jahr…

Eine Antwort

  1. „Einige andere Basarbesucher stehen schon vor der Tür in den Startlöchern. Irgendwie kommt mir das vor wie früher die Bilder vom Sommerschlussverkauf in den Nachrichten.“
    Das klingt eher nach iPhone5 Verkaufsstart. Wird auch geklatscht wenn einer mit erbeutetem Kranz auf die Strasse tritt?

    Wenn du an die „Guten“ Stücke im Hinterzimmer willst, probier es mal mit der Frage: „Pssst, haben sie nichts härteres? Irgendwas für die ‚Besonderen‘ Kunden?“ Dazu XXX€ über die Ladentheke und man wird vielleicht unauffällig durch eine bewachte Tür geschläust.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.