Michael KauschIn Teil 1 dieser ein wenig umfangreichen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf Arbeit, Leben und Politik ging es um die Veränderungen in Arbeit und Wirtschaft, also um Arbeit 2.0. Heute will ich mich dem Thema von der anderen Seite, von der Perspektive der Verbraucher und Konsumenten nähern.

Auf dem Weg zum Kunden 2.0

Die Trennlinie zwischen den Sphären der Arbeit und des Konsums verschwimmen auf mannigfache Art: Arbeitszeiten und Freizeit verschwimmen, Arbeitsort und privates Umfeld werden reintegriert, Werte werden nicht mehr nur in der Produktion geschaffen, sondern zunehmend im Zirkulationsprozess, Marken entstehen nicht mehr nur in den Marketingabteilungen der Unternehmen, sondern in der organisierten Kommunikation der Verbraucher.

Die Flexibilität des sozialen Internet erlaubt auch den ständigen Rollenwechsel der Konsumenten. Verbraucher wechseln ständig die „Milieus“. Eine statische, zielgruppenorientierte Kommunikation funktioniert deshalb nicht mehr. Moderne Unternehmenskommunikation orientiert sich immer weniger an Zielgruppen und immer mehr an Situationen und Kontext.

Und schließlich heben soziale Medien zunehmend die Trennung zwischen Meinungsführern und Meinungsfolgern auf: je nach Thema und sogar je nach Situation wechseln die Rollenbilder zwischen Führern und Folgern. Jeder kann für fünf Minuten zum Star werden.

Moderne Unternehmenskommunikation muss diese wechselnden Rollen des Konsumenten und seine begrenzte „Prominenz“ ernst nehmen. Nicht weil der Kunde grundsätzlich selbstbewusster oder „frecher“ geworden ist, reagiert er heute empfindlicher als früher auf Arroganz, Ignoranz und schlechten Service, sondern weil er erfahren hat, dass jedermann plötzlich für einen wenn auch nur kurzen Zeitpunkt im Lux Populi stehen kann, mit der Macht große Dinge zu verändern.

Dass kritische Kunden mit dieser neuen und stets nur auf Zeit verliehenen Macht in der Regel nicht umgehen können, zeigen die so häufig unhöflichen, aggressiven und flegelhaften Umgangsformen in Foren und auf Meinungsseiten.

Das soziale Web ist ein Eldorado für Abmahner und auf Beleidigungsklagen spezialisierte Anwälte.

Die berechenbare Kundenmacht

Die Rolle der Verbraucher ändert sich durch Internet und soziale Medien grundlegend: während sie einerseits durch die wachsende Relevanz öffentlicher Bewertungssysteme gegenüber den Anbietern von Waren und Dienstleistungen massiv an Macht gewinnen, werden sie durch die durchgehende Digitalisierung von Kauf- und Bewegungsprofilen für Wirtschaft und Handel zunehmend berechen- und manipulierbar. Das scheinbar Schlechte, die Gefährdung des informationellen Selbstbestimmungsrechtes lässt sich von der scheinbar positiven Seite der Medaille, dem Machtgewinn der Verbraucher nicht trennen. Wir werden das eine so wenig verhindern können, wie das andere. Faktisch läuft dieser Veränderungsprozess auf eine Vergesellschaftlichung hinaus, und nicht wie von Traditionalisten jedweder Couleur seit 150 Jahren Jahren erwünscht, erwartet oder befürchtet auf eine Vergesellschaftung. Aber beginnen wir mit dem was am offensichtlichsten und wohl am wenigsten bestritten ist: mit der Entwicklung der Verbrauchermacht.

Hab Vertrauen …

Mit der Substitution traditioneller Medien durch das Internet und insbesondere durch neue soziale Medien im Internet ändert sich aber auch das Konsumentenverhalten dramatisch: der neue Kunde geht traditioneller Werbung immer stärker aus dem Weg. Heute strömt auf jeden Konsumenten in den Industrieländern jährlich traditionelle Werbung im Wert von 1.200 Euro ein. Dieser Werbeüberfluss führt verbunden mit den neuen Möglichkeiten zur Interaktion und Selbstorganisation im Internet bei der Information über Markt und Produkte zu einem Ausweichverhalten in Richtung auf Freundkreise. Rund 50 Prozent aller Konsumenten berücksichtigen bei ihren Kaufentscheidungen persönliche Empfehlungen. Bei den Online-Usern liegt dieser Anteil sogar bei 90 Prozent. Konsumenten informieren sich immer häufiger bei anderen Konsumenten und immer seltener exklusiv bei Herstellern und Lieferanten.

Verbraucher gewinnen an Macht in vielerlei Hinsicht: von der Entscheidung über den Zeitpunkt der Kommunikation bis zur Deutungshoheit von Kommunikationsinhalten. Moderne Unternehmenskommunikation muss sich deshalb partnerschaftlich auf Augenhöhe mit den Konsumenten abspielen und sie muss die Emotionalität der personalen Kommunikation in Freundeskreisen für sich übernehmen.

Der Shitstorm wird alltäglich

Die Reputation, und damit die Chance auf eine erfolgreiche Verwertung der geschaffenen Produkte und Dienstleistungsangebote der Unternehmen, ist heute gefährdeter, denn je. Unzufriedene Verbraucher hinterlegen ihre Kritik auf den Meinungsplattformen des Internets. Keine Bohrmaschine, kein Auto und keine Hautcreme wird mehr gekauft ohne vorherigen Blick auf Verbraucherportale wie ciao oder spezialisierte Online-Foren. Die Restaurant- und Hotelkritiken im Internet sind heute überlebensrelevant für Koch und Hotelier. Dabei spielen die Verbraucher ihre neu gewonnene Macht offen und zunehmend brutal aus: Nicht wenige Übernachtungsgäste fordern bei ihrer Abreise einen „Treuerabatt“ ein und verweisen auf andernfalls fällige negative Hotelbewertungen auf hrs und booking.com. Dort hinterlegte Erfahrungen spiegeln immer häufiger nicht mehr tatsächlich Erlebtes wieder, als persönliche Befindlichkeiten, tiefenpsychologische Reinigungsprozesse oder schlicht individuelle Rache- und Machtgelüste.

Und ewig grüßt der Kaffeepartner

Freilich hat dies auch seine guten Seiten: Service-Defizite bei Unternehmen werden schnell aufgedeckt und führen zum Optimierungsdruck oder aber zum Ausscheiden des betroffenen Unternehmens aus dem Markt-Karussell. Der Hersteller von Kaffeemaschinen, der auf eine schnelle Marktdurchdringung durch Drückerkolonnen setzt, hat langfristig keine Chance mehr.

Freilich gibt es kurzfristig Gegenstrategien: Kundenkritik im Internet kann man durch den Aufbau eigener Inhalte und eine intensive Nutzung sozialer Medien verdrängen, einzelne Trolle kann man juristisch mundtot machen, das Schweigen einzelner Kritiker schlicht kaufen. Für all diese Vorgehensweisen gibt es gute Beispiele in großer Zahl. Auf Dauer aber sind diese taktisch-kommunikativen Maßnahmen teurer, als die Gewährleistung kundenfreundlicher Services. Deshalb wird die gestiegene Kundenmacht durch die leichte und schnelle Verbreitung und die Bündelungsfähigkeit von Kritik im Internet zu besseren Produkten und Dienstleistungen in unserer Gesellschaft führen. Dieser Trend ist unumkehrbar. Schwarze Schafe wird es künftig eher auf der Verbraucher-, als auf der Anbieterseite geben. Die Machtverhältnisse auf einem zunehmend transparenten Markt kehren sich um.

Ich will Ihnen ein konkretes Beispiel geben:

Zum Jahresende 2009 wollte ich selbst einmal versuchen, welche Macht kritische Kunden durch das Internet an die Hand gegeben wird. Ich habe ein kleines Projekt gestartet und war letztlich doch erstaunt, mit wie wenig Aufwand man ein Unternehmen in Probleme treiben kann, wenn dieses Unternehmen mit den Mechanismen des sozialen Netzes offenbar nicht vertraut ist. Ich meine den Fall „Kaffee Partner„, der inzwischen in zahlreichen Zeitschriften, Büchern und in Vorträgen breit diskutiert wurde:

Seit rund zwei Jahren ärgerten sich die Mitarbeiter meiner Agentur über einen Kaffeevollautomaten der Firma Kaffee Partner. Ganz abgesehen davon, dass die meisten Kollegen mit der Qualität des gebrühten Kaffees unzufrieden waren, erschien der Pflege- und Serviceaufwand als zu hoch. Vor allem aber war die Maschine häufig defekt. Alle Nachfragen, ob wir nicht aus „Kulanz“ aus dem mehrjährigen Leasingvertrag des Anbieters entlassen werden könnten, wurden von der Firma Kaffee Partner abgelehnt oder gar nicht erst beantwortet.

Als im Herbst 2009 die Maschine wieder einmal fünf Tage defekt war, der Anbieter auch eine anteilige Kürzung der Leasingkosten ablehnte, mehrere Schreiben der Agenturleitung an die Geschäftsführung der Firma Kaffee Partner unbeantwortet blieben und das Unternehmen zuletzt gar mit dem Anwalt drohte, beschloss ich, meinen Unmut über die Situation öffentlich zu machen. Eine Agentur für Öffentlichkeitsarbeit sollte schließlich wissen, wie so etwas geht.
So publizierten wir am 8. Januar unsere bisherigen Erfahrungen in einem Posting auf unserem eigenen Weblog. Ein Posting ist aber nur so erfolgreich, wie es vernetzt ist. Also analysierten wir über einfache Suchabfragen in Google und Bing, welche Online Communities von Kaufentscheidern für Kaffeemaschinen in Büroumgebungen besonders intensiv genutzt werden und platzierten auf etwa einem Dutzend dieser Seiten kleine Kommentare mit Links auf den Beitrag in unserem Blog. Die derart genutzten Seiten reichten von allgemeinen Meinungs-Seiten wie ciao.de und dooyoo.de bis zu Themen-Foren wie kaffee-netz.de und kaffeevollautomaten.org.

Der Gesamtarbeitsaufwand für uns lag bei etwa vier Stunden. Wir haben nur einige Grundregeln suchmaschinenfreundlichen Bloggens beachtet, aber sie reichten aus, dass durch diese kleinen Aktionen unser Blog-Posting gefunden und entsprechend von Gastlesern kommentiert wurde. Nach nur zwei Wochen wurden wir mit unserem Artikel bei der Google-Suche nach Kaffee Partner bereits an sechster Stelle gelistet. Am 4. Februar erreichten wir bei Google sogar Platz 1 unter den unabhängigen Links – nach Kaffee Partner – unter mehr als 860.000 Fundstellen.

In der Folge wuchsen die Besucherzahlen unseres Blogs über Suchverweise von Google sprunghaft an. Das war zwar schön, aber natürlich nicht unser eigentliches Ziel. Wir wollten aus dem Vertrag raus! In vier Wochen hatten knapp tausend Leute mein Posting gelesen und vermutlich einige Tausend andere Leser die diversen Kommentare auf anderen Internetseiten. Die Anzahl der gegenüber Kaffee Partner kritischen Kommentare überwogen die wohlmeinenden deutlich. Es rumorte und gärte im Web.

Nur die Firma Kaffee Partner meldete sich nicht. Erst nach rund fünf Wochen erhielten wir einen Anruf des Unternehmens mit der Frage, ob man etwas tun könne, um die negativen Stimmen im Internet zu reduzieren. Plötzlich ging man auf unsere Bitte nach einer vorzeitigen Auflösung des Leasingvertrags ein und am 23. Februar wurde die Maschine vom Hersteller abgeholt.

Erstaunt musste das Unternehmen aber nun zur Kenntnis nehmen, dass weder durch die verspätete „Kulanz“ noch durch wochenlanges Schweigen die kritischen Stimmen im Internet zum Schweigen gebracht werden konnten. Wir selbst hielten uns schon lange zurück, die Schar der kritischen Kunden von Kaffee Partner aber hatten mit dem Blog der Agentur vibrio einen Kristallisationspunkt für ihren Erfahrungsaustausch geentert.

Eine interessante Erfahrung: Im Web 2.0 findet Kritik nicht mehr nur auf den klassischen Bewertungsportalen statt. Vielmehr suchen sich die Konsumenten beliebige Fixpunkte und übernehmen solche Seiten mehr oder weniger. Noch heute tauschen sich auf dem Blog der Agentur vibrio Anwälte über ihre Strategien bei der Vertretung von Kunden des Unternehmens aus, bedanken sich potentielle Bewerber über die Informationen über den Arbeitgeber Kaffee Partner, und noch immer rufen wöchentlich mehrere Hundert Verbraucher und potentielle Kunden die Diskussion auf dem Blog auf. Denn aktuell wird das Blog der Agentur vibrio bei der Google-Suche nach Kaffee Partner noch immer auf Rang 3 der unabhängigen Fundstellen gelistet. Inzwischen dürfte der Gesamtarbeitsaufwand des „unzufriedenen Kunden“ bei vielleicht acht Stunden liegen. Bei einer negativen Kaufbeeinflussung von vielleicht ein bis zwei Prozent aller Kontakte, liegt das Umsatzrisiko für das betroffene Unternehmen aber extrem hoch.

Man sieht: die Machtverhältnisse auf einem zunehmend transparenten Markt kehren sich um. Und das ist gut so.

Der gläserne König

Doch geht dieser Trend einher mit der Durchsetzung größtmöglicher Transparenz im Verbraucherverhalten. Der Online-Versender Amazon zeigt in welche Richtung die Entwicklung geht: wer den Kundenkontakt hat, der macht das Geschäft. Denn wer den Kundenkontakt hat, der kennt die Produkt- und Themenvorlieben des Kunden, sein Kauf- und Konsumverhalten, sein Such- und Suchtverhalten. Auf der Basis bisheriger Kaufprozesse empfiehlt der Online-Verkäufer weitere Produkte. Auf Grund des Zahl- und Kreditverhaltens ignoriert oder bewirbt der Online-Verkäufer seinen Interessenten. Er folgt ihm mit seinen Anzeigen und Angeboten auf andere Seiten und in die sozialen Netzwerke. Und immer mehr wird er künftig auch dessen Netzwerk nutzen. Er wird analysieren, welcher unserer Freunde ähnliche Leseinteressen hat, und welch anderer Freund gerne unseren Restaurant-Tipps folgt. Denn das ist heute noch eine Schwäche im automatisierten Empfehlungsmarketing: Wir erfahren, welche Bücher und Restaurants unsere Freunde empfehlen. Aber in meinem Freundkreis gibt es Freunde, denen vertraue ich in kulinarischen Dingen blind, nicht aber ihren belletristischen Leseempfehlungen und umgekehrt. Aber mehr und mehr werden durch eine Feinanalyse der Netzwerkbeziehungen die Empfehlungen passgenauer.

Verhaltens- und Bewegungsprofile werden zunehmend normal. Und die Gegenwehr kritischer Bürger wird immer verhaltener. Denn selbst jene, die vor Jahren noch sich gegen die Datenerfassungswut des Staates bei der Volkszählung gewehrt haben, nutzen die unbestreitbaren Vorteile des Target Marketing auch für den Verbraucher: zielgenaue Werbung kann auch zielgenaue und nützliche Information sein. Im Online-Handel von Büchern und Musik wird dies offenkundig, aber auch eine Restaurantempfehlung, die wirklich meine Interessen und Vorlieben berücksichtigt ist hilfreich und sinnvoll unabhängig davon, ob die Empfehlung von einem Freund oder einem Händler kommt.

Letztlich wird man auch kaum mehr unterscheiden können, wer die Quelle der Kaufempfehlung ist. Und warum sollen Kaufempfehlungen unter Freunden, die zu realen Umsätzen führen, nicht auch mit einer Gratifikation für den empfehlenden Freund entgolten werden? Wer ein Abo der Tageszeitung vermittelt darf sich heute schon eine Prämie beim Verlag heraussuchen. Künftig wird Target Marketing solche Prozesse in sozialen Netzwerken automatisieren.

Wir werden ein Volk der wechselseitigen Empfehler und Vermittler.

Wer den Kunden hat, macht den Gewinn. Ich erinnere mich an ein Projekt aus den U.S.A., in dem vor mehr als zehn Jahren schon dieses Prinzip umgesetzt wurde. Bowstreet, ein Entwickler von Unternehmensportalen, der im Jahr 2005 von IBM übernommen wurde, entwickelte Anfang diesen Jahrtausends ein Kunden-Portal für amerikanische Immobilienmakler. Diese Makler haben in den U.S.A. das Problem, dass ihr typischer Kunde alle zehn Jahre umzieht. Das Haus an der Ostküste wird verkauft, ein neues an der Westküste wird erworben. Alle zehn Jahre kann ein typischer U.S.-Makler, der national aktiv ist, mit seinem Kunden ins Geschäft kommen. Wie aber kann man einen Kundenkontakt über einen solch langen Verkaufszyklus lebendig halten? Wie erreicht man, dass ein Kunde zehn Jahre nach einer erfolgreichen Immobilienentwicklung sich wieder an denselben Makler wendet?

Betrachtet man die Makler-Kunden-Beziehung genauer, dann liegt die Lösung auf der Hand: nach einem Umzug ist der Makler einer der ersten Kontakte des Kunden in einer für ihn neuen Umgebung. Also etabliert sich der Makler als „Helping hand“ im neuen Zuhause. In einem Kundenportal hält der Makler alle Informationen bereit, die ein typischer Neubürger in der neuen Heimat benötigt: Wo ist der nächste Arzt, wo die beste Schule der Region? Welche Formular muss ich bei welchen Behörden ausfüllen? Wo kann ich günstig einkaufen? Der Makler sorgt im ersten Schritt in einem auf den Kunden zugeschnittenem Online-Portal für Orientierung. Im Idealfall sorgt er zuvor schon für die Realisierung des Online-Anschlusses im neuen Haus. Also vermittelt der Makler den Vertrag mit dem Online-Provider. Und später vermittelt er regionale Käufe. Er verschafft der Privatschule das Kind und wird für die Vermittlung provisioniert. Er vermittelt den Arzt und wird provisioniert. Er vermittelt den Kontakt zur Apotheke und wird provisioniert. Kurz: der Makler nutzt seine Kundenbeziehung zur Vermittlung Kontakten und Umsätzen, verdient nachhaltig an seiner Kundenbeziehung und erhält diese über einen langenZeitraum bis er zehn Jahre später ein Neugeschäft mit seinem Bestandskunden in seinem Kern-Geschäft realisieren kann. Freilich verdient er in der Zwischenzeit mehr über seine Vermittlungstätigkeit für Kontakte zu Dritten, als über seine Vermittlungstätigkeit für Immobilien. Wer den Kunden hat, macht den Gewinn. Und der Immobilienmakler befindet sich in diesem Businessmodell der Zukunft in einer strategisch äußerst günstigen Position: er ist der erste, der vor Ort den Kundenkontakt hat.

Neues Berufsbild: Reiseleiter auf der Customer Journey

Eine solche auf eine kontrollierte Customer Journey ausgelegte Geschäftsstrategie ist aufwendig. Sie erfordert einen professionellen Umgang mit riesigen kundenbezogenen Datenmengen, sie erfordert Tools zur Bewältigung der entstehenden Big Data und eine kreative Unternehmensführung. Sie lohnt sich bei Kunden, bei denen „etwas zu holen“ ist.

Erfolgreiche Unternehmen, die künftig so arbeiten wollen, setzen auf einer überschaubare Anzahl von Kunden mit einer hohen Dienstleistungstiefe pro Kunde, mit einer optimalen Wertschöpfung aus jeder einzelnen Kundenbeziehung.

Die Entstehung des analogen Lumpenproletariats

Was aber geschieht mit denjenigen Kunden, die für solche Unternehmen von geringem Interesse sind? Was geschieht mit älteren und wenig online-affinen Kunden? Was mit Kunden mit geringer Kaufkraft? Droht eine weitergehende Segmentierung unserer Gesellschaft? Werden Menschen, die sich diesen Marktstrategien widersetzen abgehängt? Werden sich Parallelwelten herausbilden? Wird sich unsere Gesellschaft weiter aufspalten? Ich fürchte, wir werden alle diese Fragen mit einem ja beantworten müssen.

Die bisher beschriebenen Trends in Arbeit und Konsum werden von sozialer Ausgrenzung und zugleich von einer Ökologisierung des Lebens begleitet werden. Gesellschaftliche Gruppen, die die hohe Veränderungsgeschwindigkeit unserer Lebenswelten nicht mitgehen können – Alte, Behinderte, sozial marginalisierte und bildungsferne Gruppen – drohen von wichtigen sozialen Welten weiter abgeschnitten zu werden.

Die Digitalisierung des Handels hat erhebliche Auswirkungen auf heutige Infrastrukturen: die Bedeutung der Innenstädte für Handel und Verkehr wird ebenso zurückgehen, wie die Bedeutung der heute dominierenden Print- und Funkmedien. Gesellschaftliche Gruppen, die die hohe Veränderungsgeschwindigkeit unserer Lebenswelten nicht mitgehen können – Alte, Behinderte, sozial marginalisierte und bildungsferne Gruppen – drohen von wichtigen sozialen Welten weiter abgeschnitten zu werden. Diese Trends möchte ich unter dem Label Leben 2.0 beschreiben.

War es in der Vergangenheit vor allem die Verfügbarkeit über Produktionsmittel, so ist es heute die Digitalisierung, von der die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie der Zugang zu Informationen zunehmend abhängen. Damit werden die Karten neu gemischt. Auf der einen Seite sind es „digitale Konzerne“ (z.B. Google, Facebook oder Amazon), die eine neue wirtschaftliche Macht mit politischem Einfluss repräsentieren, auf der anderen Seite geraten kleine „digitale Unternehmen“ und traditionelle Branchen in den Sog veränderter Strukturen. Neue wirtschaftliche und soziale Abhängigkeiten entstehen.

Das Leben 2.0 kennt Verlierer und Gewinner. Doch werden die Karten nicht nur neu gemischt, der Graben zwischen Gewinnern und Verlierern droht auch tiefer zu werden. Und dies ist eine der zentralen Herausforderungen für die Politik. Pegida zeigt heute eindringlich, wohin die Perspektivlosigkeit subjektiv abgehängter sozialer Gruppierungen führen kann: in Rassismus und Auflösung der Demokratie.

Im dritten und letzten Teil dieses Artikels will ich mich ausführlicher mit dem Thema Politik 2.0 befassen.

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