Jetzt kommt der Hygiene-Pranger titelte die Münchner Boulevard-Zeitung tz am 17.08. in ihrer Online-Ausgabe: Ab 1. September gibt es im Internet einen Hygiene-Pranger. Schon bei Verdacht auf einen „nicht unerheblichen“ Hygiene-Verstoß und einem zu erwartenden Bußgeld von 350 Euro stehen die betroffenen Firmen sechs Monate lang auf der Internetseite des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL)
Welche Folgen das für Bayern und explizit für die Landeshauptstadt München haben wird, stellt die tz in einem Gespräch mit dem Leiter des Kreisverwaltungsreferats heraus:

Lebensmittelkontrolle. Pressebild der Stadt Ludwigshafen

Wir müssen mit 1000 Veröffentlichungen pro Jahr rechnen wird Wilfried Blume-Beyerle in der tz zitiert. Verbraucherschutz wird jetzt halt groß geschrieben – sogar in Bayern und wenn schon, dann richtig. Mit aller Ernsthaftigkeit und Härte – typisch bayerisch eben.
Das Ganze ist ein Reflex auf die nicht abreißende Kette der Hygiene-Skandale bei lebensmittelproduzierenden oder -verarbeitenden Betriebe. Prominentestes Beispiel war sicher der Skandal um die Verunreinigungen in der Großbäckerei Müller, die bis zu Mäusekot und Schaben in den Backwaren führten. Aber auch die vielen Gammelfleischvorfälle, die der Konsument allzu schnell vergessen hat, sind Grund, dass das LGL jetzt hart durchgreift.  Selbst schuld, möchte man meinen. Ihr Unternehmen habt es eben soweit kommen lassen…


Die Behörden haben dazu gelernt und bedienen sich der neumodischen Wunderwaffe Internet. Alle Namen der Betriebe, bei denen es zu Beanstandungen gekommen ist, werden daher online in einer Datenbank der breiten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt – nebst der Art der Beanstandung.

Warum auch nicht? Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, den trifft es ja nicht. Der hat ja nichts zu befürchten.
Dieses Totschlagargument, dass wir alle nur allzu gut kennen, greift überall. Beim Ausspionieren des heimischen Rechners, beim Tracking der aufgerufenen Internetseiten am Arbeitsplatz, bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum oder den vielen kleinen Anprangerungen, die das Netz heute möglich macht – z.B. den vermeintlichen Ladendieben in Regensburg in einem Kaufhaus. Warum also nicht auch hier?
Was Beyerle-Blume als Stärkung der Verbraucherrechte und als außerordentliches Maß an Transparenz vorab bejubelt, könnte sich für die betroffenen Betriebe als Büchse der Pandora erweisen.
Denn nicht bereits der erwiesene Verstoß wird öffentlich gemacht: „Sie werden schon bei Verdacht ins Internet gestellt, nicht erst nach Abschluss eines Verfahrens“, wird Beyerle-Blume zitiert. Und es geht nicht nur um die dicken Ekelhammer sondern auch um die vielen kleinen Schludrigkeiten.
Die Münchner Wirte proben jedenfalls medienwirksam den Aufstand, wie am 22. August in der Münchner Abendzeitung zu lesen war: „In Deutschland gilt immer noch die Unschuldsvermutung“ kommt Frank-Ulrich John, Sprecher des Gaststättenverbands Dehoga zu Wort. Geplant sei, schon vor Eröffnung eines Verfahrens einen Wirt als Schmutzfink abzustempeln, auf einen bloßen Verdacht hin. Ins gleiche Horn stößt in selbiger Zeitung Georg Schlagbauer, der Chef der Metzgerinnung. Und so finden sich in der Abendzeitung dann auch Beispiele, die Betriebe auf den Hygiene-Pranger bringen werden: Fehlende Deckel auf einem Mülleimer, ein Spinnennetz im Fenster, eine zerbrochene Fliese an der Wand oder Flugrost an einem Fliegengitter. Denn das LGL hat ja angekündigt, alle Fälle, bei denen ein Bußgeld von € 350 fällig wird, öffentlich zu machen. Dazu gehören auch die genannten Beispiele.

Aber es geht um noch mehr: Hier werden Instrumentarien eingeführt, die niemand wirklich und effektiv kontrollieren kann. Die Ergebnisse sind auf längere Sicht gar nicht absehbar. Versuch am lebenden Objekt – so könnte man es nennen.

Und das wirft dann doch ein paar Fragen auf:
Wird der Mangel umgehend behoben (also z.B.  eine Fliese oder ein Fliegengitter ersetzt), dann erscheint der Betrieb wohl trotzdem auf der Roten Liste. Denn die Kontrolleure können und werden nicht alle Beanstandungen nach 24 Stunden nachkontrollieren. Und auf dieser Liste bleibt die Firma auch volle sechs Monate.
Ob das Löschen dann aber überhaupt noch etwas bringt, ist eine ganz andere Frage. Längst können in Foren, Social Media, Blogs und anderen Kanälen die Hinweise auf diese Einträge für alle Ewigkeit digital zementiert und per Google auffindbar bleiben, heftig diskutiert und multipliziert worden sein. Auch Jahre später. Und es bleibt eben immer was hängen. Es gibt keinerlei Möglichkeiten, das zu verhindern oder einzudämmen – weder für den betroffenen Betrieb noch für das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelrecht. Einmal im Netz – immer im Netz. Einmal am Pranger, für immer gebrandmarkt, geschädigt und im schlimmsten Fall in den Konkurs getrieben.

Sicher: Viele Verstöße gegen die geltende Hygieneverordnung und das Lebensmittelrecht sind so gravierend, dass einem nur speiübel werden kann. Das ist unbestritten.
Und sicher ist es notwendig und sinnvoll, bei gravierenden Fällen mit Hilfe der Öffentlichkeit, also der Konsumentenverweigerung, weiteren Druck aufbauen, um Produktions- und Verkaufsbedingungen auf dem notwendigen Hygeniestandard zu halten oder zu bringen.
Die Frage ist nur: Ist ein Online-Pranger, wie er jetzt kommen wird, wirklich ein sinnvolles Instrumentarium?
So notwendig es ist, über diese Frage nachzudenken und zum Beispiel die Grenzen, ab wann ein Betrieb online angeprangert werden sollte, noch einmal zu prüfen, so akademisch ist sie auch. Denn Bayern hält nicht viel von seinem berühmten Dichtersohn Bert Brecht, der einräumte, man müsse nicht „B“ sagen, nur weil man „A“ gesagt habe. Man könne auch einsehen, dass „A“ falsch war. Will sagen: Die Internetveröffentlichung ist beschlossen und verkündet und wird genauso umgesetzt, egal, ob das alles sinnvoll und durchdacht ist. So macht man das in Bayern.
Widerstand ist sowieso nicht ernsthaft zu befürchten – noch nicht. Denn der Freistaat steht ja  schließlich ganz auf der Seite seiner Bürger, der Verbraucher und deren Verbände (wäre es doch immer so).

Was aber ist, wenn solche Listen mehr gastronomische Betriebe in den Ruin getrieben haben sollten als das hochkonsequente, per Volksentscheid herbeigeführte Rauchverbot? Wenn die Wirtshäuser reihenweise als hygienisch beanstandet im Netz aufgelistet werden und sich dort niemand mehr seinen Schweinsbraten schmecken lasen will? Und das noch Monate später, wenn vielleicht längst der Pächter gewechselt hat?

Wie heißt es doch im Zauberlehrling:

Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los.

Hoffen wir, dass für Wirtshäuser, Bäckereien, Metzgereien, die landwirtschafltichen Erzeuger-Shops, die Kollektiv-Cafes… eine amtliche Beanstandung nicht zum digitalen Betriebsmordinstrument wird, weil sie ihren Makel nie wieder los werden.

Aber warum Sorgen machen? Ich vergas: Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, hat ja auch nichts zu befürchten…

Also Leute: Sauber bleiben!

2 Antworten

  1. War da nicht mal so ein Ampelaufkleber geplant, den die Betriebe an die Tür zu pappen haben?
    Grün: Die Wurst besteht aus Desinfektionsmittel
    Gelb: Es wurde Fleisch gefunden, aus der Natur! stell sich das einer vor.
    Rot: Nachbars Katze wurde das letzte mal in der Küche gesehen.

    Naja, jeden falls könnten sich Kunden beim Sticker direkt ein Bild machen und müssten nicht erst das Internet bemühen.
    Auch eine komplette Liste aller Sticker wäre nur sehr schwer zu erstellen solange sie nicht ge-vicki-leaked werden.
    Und: Neuer Pächter + (eventl.) für Geld neue Überprüfung = neuer Aufkleber und alle sind glücklich.

  2. Man könnte doch auch eine Positivliste erstellen.
    Der Generalverdacht besteht doch eh schon!

    „In diesem Leberkäs konnten wir bisher nix Ekliges finden!“ steht dann 6 Monate auf der Website.

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