Kommunikation bedeutet Austausch. Das lateinische Verb „communicio“, von dem unser Begriff sich ableitet,  heißt ja auch wörtlich „etwas gemeinsam machen“. So gesehen ist das, was wir heute mit „Massenkommunikation“ bezeichnen, das krasse Gegenteil von Kommunikation, weil es kein Austausch ist, sondern eine Einbahnstraße: Jemand – der „Medienmacher“ – beschließt, was gesagt werden soll, und der Empfänger – der „Medienkonsument“ – empfängt die Botschaft mehr oder weniger passiv.

Damit ist Dank Internet Schluß. Nur haben das noch nicht alle verstanden. Die alten Medien und ihre Macher – Journalisten, Werber, Verlage, Medienkonzerne – kämpfen verbittert um ihre schwindende Macht und darum, die Hoheit über die Medienbotschaften zu bewahren. Ihr Kampf ist hoffnungslos, wie Ossi Urchs und ich in der fünften These unseres Buches „Digitale Aufklärung“ beschreiben:

These 5:
Massenmedien verlieren mit dieser Entwicklung nach 150 Jahren ihre gemeinschafts- und identitätsstiftende Funktion. Dadurch kehrt die Kommunikation gewissermaßen zu ihrem Ursprung zurück: Zum interpersonalen Austausch, der heute allerdings zunehmend digital und medial vermittelt stattfindet.

Erschwerend kommt bei dieser bevorstehenden „Neuformatierung“ der Gesellschaft der Umstand hinzu, dass uns die bekannten Leitplanken und Orientierungshilfen zur Erfassung einer sich dramatisch verändernden Wirklichkeit abhandengekommen sind. Und das betrifft nicht etwa nur Religionen und andere Glaubenssysteme, seien sie eher (natur-)wissenschaftlicher oder philosophischer Natur, sondern in ganz besonderem Maße die meinungs- und gemeinschaftsstiftende Funktion der alten Massenmedien.

Konnte man noch vor wenigen Jahren – wie ein deutscher Ex-Kanzler -davon ausgehen, dass man morgens nur die Bild-Zeitung lesen müsse, um zu wissen, was Deutschland am Abend glauben würde (oder wenigstens glauben sollte), so trifft das heute gleich aus mehreren Gründen nicht mehr zu. Zum einen hat die meinungsbildende und gemeinschaftsstiftende Qualität der Inhalte, ob sie nun gedruckt oder elektronisch unters Volk gebracht werden, unter dem Preisverfall der digitalen Waren und Inhalte dermaßen gelitten, dass sie als „Leit-Bild“ schlechterdings untauglich geworden sind. Insofern dürfte die Pleite namhafter Zeitungstitel wie der „Frankfurter Rundschau“ oder der „Financial Times Deutschland“ nur ein erster Vorbote des großen Zeitungssterbens sein, wie es in den USA längst begonnen hat.

Zum anderen weiß das digital geschulte Publikum heute einfach zu viel über die Wirkungsweise massenmedialer Scheinwirklichkeiten, um ihnen noch zu erliegen: Wer einmal das „Dschungelcamp“ gesehen hat, für den haben „Stars“ endgültig ihren Zauber verloren. Und schließlich hat die Reichweite der ehemaligen Massenmedien inzwischen schon zu weit abgenommen, um noch identitätsstiftend wirkend zu können (von Fußballspielen, olympischen Spielen und anderen Mega-Events einmal abgesehen). Jedenfalls würde niemand heute noch auf die früher gängige Idee kommen, den Anruf bei der Tante doch besser zu verschieben, nur weil um 20 Uhr doch „im Fernsehen“ die Tagesschau kommt.

Nach 150 zunächst durchaus erfolgreichen Jahren sind die herkömmlichen Massenmedien in der kommunikativen wie in der wirtschaftlichen Sackgasse gelandet. Was bleibt, ist das Kommunikationsbedürfnis eines „Zoon Politicon“, Aristoteles‘ „Lebewesen in der Polisgemeinschaft“, das sich nicht als einzelnes Wesen denken, geschweige denn als solches existieren kann. Und es findet sich wieder auf einen Austausch zurück geworfen, auf den es nicht (mehr) vorbereitet ist. So erleben wir alle einen zweiten Strukturwandel der Öffentlichkeit, in dem diese aus den Massenmedien zurückkehrt auf eine inzwischen digitalisierte und medial vermittelte Agora. Deshalb müssen wir alle wieder lernen, uns dort so selbstverständlich zu bewegen und so überzeugend zu argumentieren, wie es der digitalen Gemeinschaft zusteht.

3 Antworten

  1. Ein entschiedenes „Ja, aber doch nicht ganz“ zu eurer fünften These:
    Zum Ersten: Der angedeutete „zweite Strukturwandel der Öffentlichkeit“ (Gruß an Habermas) findet nicht ganz so schlicht statt, wie von Euch beschrieben. Dies liegt schon daran, dass die behauptete Dichotomie zwischen traditionellen Massenmedien und personaler Kommunikation so niemals gegeben war. Die große Samstagabendunterhaltung, der Derrick und die Sportschau erhielten ihre gesellschaftliche Bedeutung erst in dem sie zum Zeitgespräch der Konsumenten am nächsten Tag am Arbeitsplatz, in der Schule und am Gartenzaun wurden. Die Tagesschau war das Lagerfeuer der vergangenen Jahrzehnte, um dass sich Familien abends versammelten. Es schloss die personale Kommunikation immer schon mit ein. Wir müssen die Medien immer in ihrem Rezeptionszusammenhang und nicht nur in ihrer Produktions- und Distributionsverfasstheit begreifen.
    Zum Zweiten: Dass „das digital geschulte Publikum heute einfach zu viel über die Wirkungsweise massenmedialer Scheinwirklichkeiten“ wisse, ist eine fromme Hoffnung. Das Dschungelcamp ist eben nicht seine eigene ironische und deshalb durchschaubare Überzeichnung. Es ist das Muster der Zustände in unseren Schulklassen. Und es ist so wirksam wie die BILD-Zeitung, der niemand glaubt und die doch unserer Gesellschaft die Agenda aufzwingt. Freilich nicht ohne Rückkopplung: wenn die Mehrheit der BILD-Leser den Schrecken der Arbeitslosigkeit selbst erlebt hat, kann das Medium nicht länger über das „faule Gesocks“ schimpfen. Immer schon wurde dieses Blatt mit zusammengebissenen Zähnen gekauft. Das Wissen um die Falschheit der Medien macht freilich nicht gegen sie resistent.
    Und weil dies alles so ist, ist euer Vertrauen auf den durch die Digitalisierung der Welt vermeintlich erreichten strukturellen Fortschritt, den wir nur noch mittels kritischer Medienpraxis in Befreiung zu wandeln haben, falsch.

  2. Der „strukturelle Fortschritt, den wir nur noch mittels kritischer Medienpraxis in Befreiung zu wandeln“ vermögen, ist nicht falsch – es ist eine Forderung! Zum „sapere aude!“ der digitalen Aufklärung gehört sie notwendig dazu. Ossi und ich sind nicht so naiv zu glauben, dass das Internet das Ende der Couchkartoffel sein wird. Die Befreiung von der medialen Bevormundung der „Meinungsmacher“ ist aber bereits in vollem Gang, und das ist gut so. Die Menschen werden nach wie vor Trugbildern nachlaufen – aber es werden wenigstens ihre eigenen sein und nicht die der Konzernbosse und Zeitungsschreiber.

  3. Lieber Michael, der von uns so apostrophierte „2. Strukturwandel“ setzt den von Habermas beschriebenen, von den Dorfplätzen in die Massenmedien fort, und zwar in die digitalen Medien, als Werkzeuge und Plattformen des partizipativen Austausches, der früher, mit den alten Massenmedien, so ja nicht möglich war. Dieser 2. Strukturwandel erweitert also zunächst einmal den Kreis derjenigen, die ohne technische Vorbildung an dem neuen, weil medialen Austausch teilnehmen können. Ich denke, das ist unbestreitbar. Was die Inhalte und das kritische Bewusstsein von diesem Austausch angeht, beides steht auf einem anderen Blatt. Ich freue mich auf unsere Diskussion am Montag in München!

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