In ein paar Minuten werden wir uns im Münchner Presseclub zur Czyslansky-Weihnachtsfeier zusammensetzen, um über die Thesen von Frank Schirrmacher und die Frage zu diskutieren: „Sind wir bald die digitalen Deppen?“ Zur Einleitung folgendes:

Ich lebe seit vielen Jahren davon, dass ich als „Internet-Urgestein“ (danke für diesen Ehrentitel, Sebastian) und digitaler Berufsoptimist in Vorträgen, Büchern, Fernsehauftritten, Kolumnen und Blog-Artikeln über die Veränderung und Bereicherung des beruflichen und privaten Alltags durch das Internet und durch das Phänomen der Vernetzung schreibe und rede. Herr Schirrmachers Thesen in seinem Buch „Payback“ sind ein Frontalangriff auf diese Weltsicht, und sie haben mich deshalb zu einer heftigen Gegenrede auf czyslansky.net veranlasst.

Nicht alle seiner Thesen sind Unsinn – bei einem Buch von 240 Seiten, von einem hochintelligenten und wortgewaltigen Feuilletonschreiber verfasst, muss zwangsläufig einiges stehen, das jeder unterschreiben kann. Mir geht es um seine Kernthesen, die ich für falsch und verwerflich halte, zum Beispiel:

„Multitasking ist Körperverletzung“

In meinem neuen Buch „Unternehmen 2020“, das im März erscheint, beschreibe ich die Arbeiten der Anthropologin Linda Stone, die früher bei Microsoft die „Social Computing Group“ leitete. Sie hat bereits 1998 ein Phänomen beschrieben, dass sie „Continuous Partial Attention Syndrom“, oder „CPA“ nannte, die besonders bei Jugendlichen auftritt, die mit dem Internet aufgewachsen sind.

Jeder von uns kennt das: Die Kids, die gleichzeitig den Fernseher laufen haben, simsen, World of Warcraft auf dem Computer spielen und nebenbei noch ihre Hausaufgaben machen. Sind diese Kinder völlig verblödet? Warum schreiben sie dann komischerweise ziemlich gute Noten in der Schule? Immerhin wird Deutschland beim Pisa-Ranking Jahr für Jahr ein bisschen besser – trotz Internet. Oder vielleicht gerade deswegen?

In Wahrheit handelt es sich bei CPA um eine evolutorische Anpassung des Menschen an eine sich verändernde Kommunikationsumgebung – so, wie sich unsere Art seit Jahrtausenden immer wieder ihrer Umgebung anpassen musste. Das können wir sogar sehr gut, denn sonst säßen wir jetzt nicht hier. Linda Stone meint, und ich stimme ihr zu, dass die Fähigkeit, gleichzeitig mehrere Dinge zu tun, eine wesentliche Erfolgsvoraussetzung für spätere Generationen sein wird. Im Übrigen scheibt mein Freund Allan Pease in seinem Buch „Warum Männer nicht zuhören und Frauen schlecht einparken“, dass Frauen schon immer multitaskingfähig waren, schon in der Steinzeit – auf jeden Fall viel multitaskingfähiger als Männer. Ich kann das nur aus meinem eigenen häuslichen Leben bestätigen.

„Mit den Informationen, die der technische Apparat speichert, wächst das Vergessen unserer biologischen Gedächtniszentren. Aufmerksamkeitsverlust und Blackouts kennt mittlerweile jeder. Die nächste Verschärfungsstufe ist der Erinnerungsverlust.“

Mit solchen Sätzen betreibt Herr Schirrmacher nichts als billige Angstmache. Er hat natürlich keine empirischen Beweise dafür, dass „jeder“ an Aufmerksamkeitsverlust und Blackouts leidet. Ich betrachte dies sogar, zumindest was mich betrifft, als eine ehrenrührige Unterstellung.

Ich bin der Meinung, dass der Mensch durchaus in der Lage ist und bleiben wird, relevante Informationen kortikal zu speichern. Die Frage ist nur, welche Informationen sind relevant? In einer sich verändernden Informations- und Kommunikationsumgebung werden neue Dinge wichtig. Ich konnte mir mal Telefonnummern merken, allerdings nur mit Mühe. Heute muss ich das nicht mehr können. Wozu, die sind doch in meinem Handy alle abgespeichert. Ich kann immer noch ganz gut navigieren, als alter Hobbypilot ist das nach wie vor eine überlebenswichtige Fähigkeit. Aber ich schalte inzwischen immer das Navi ein, wenn ich losfahre, sogar dann, wenn ich die Strecke eigentlich gut kenne.  Ich fühle mich dadurch entlastet und kann mich besser auf den Verkehr konzentrieren.

Viel wichtiger als die Fähigkeit, sich viele Dinge merken zu können, wird in Zukunft die Fähigkeit sein, relevante Informationen zu finden und miteinander zu verknüpfen. Das ist es, was unsere Kids heute lernen, wenn sie surfen, twittern, simsen oder spielen. Ihr Gehirnjogging sieht anders aus, aber sie werden deshalb nicht zu digitalen Deppen!

„Fast immer, wenn wir glauben, mit Menschen zu kommunizieren [treten wir] in Wahrheit in Wettbewerb mit den Maschinen“

Das ist aus meiner Sicht blanker Unsinn! Das Internet ist im Gegenteil das größte und revolutionärste Kommunikationsmedium der Welt. Es bringt die Menschen einander  viel näher als früher und führt zum Beispiel ältere oder behinderte Menschen direkt aus der Vereinsamung. Herr Schirrmachers These muss für solche Mitbürger geradewegs wie Verhöhnung klingen. Sie ist menschenverachtend und mechanistisch, spricht aber wieder sehr geschickt die verborgenen Ängste vieler Leser an, weil die „Machtübernahme durch die Maschinen“ ja ein altes Thema des Science Fiction ist, das scheinbar durch Herrn Schirrmacher zu einer realen Gefahr veredelt wird.

Das ist plumpe Volksverdummung, als besorgte Nachdenklichkeit verkauft. Aber so dumm sind wir nicht – nicht einmal im Internet-Zeitalter!

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