Der Plural von Komma ist Kommata? Aber Kommas darf man auch sagen. Eine Olympiade ist lediglich der Zeitraum zwischen zwei olympischen Spielen? Das war vor zweitausend Jahren zweifelsohne der Fall, kein Grieche hätte an „einer Olympiade“ teilgenommen. Heute die Nase zu rümpfen über ungebildete Menschen, die es fertigbringen von einer Winterolympiade zu sprechen, kann ins Auge gehen. Manchmal leisten sich auch gebildete Menschen diese kleine Ungenauigkeit. Wohl dem, dessen Zehennägel sich dann nicht aufrollen. Ein kleiner Trost vielleicht ist, daß wir heute auch ohne Turnbeutel ins Gymnasium gehen können und nach einem Symposion noch Auto fahren können.

Der Pfad zwischen unerträglicher Besserwisserei einerseits und andererseits verdienstvollem Eintreten für Sprache, Sprachgefühl und damit für unsere Kultur ist schmal. Ich kann Worte wie „Eurokopter“ nicht lesen, ohne Pickel zu kriegen. Was soll auch ein „Eurox“ sein? Europter wäre denkbar. Aber wer denkt noch daran, daß ein Helikopter aus den Teilen Helix (helix, helikos) und Pteron besteht, im griechischen Sinn des Wortes also ein Schraubflügler ist? In Frank Schätzings aktuellem Roman „Limit“ ist es auch einem „Gyrokopter“ gelungen, sich in den Text zu mogeln. Das hat nichts mit Kopten tun. Letztere übrigens, das weiß kaum jemand, sind auch eine Verballhornung. Das Wort kommt aus dem Arabischen zu uns: قبطي‎ qibti, qubti, und die Araber wiederum haben es aus dem Griechischen, für die die αἰγύπτιοι schlicht die Ägypter waren. Die übrigens nicht auf Flügeln die Ägäis überquerten, auch wenn wir den Stamm Pteron so schön zu sehen glauben. An dieser Stelle des Romans, bei den unsäglichen Gyrokoptern, brauchte ich also den Brandy, den Schätzings Lektor vielleicht zu viel hatte, als er ihm das Wort durchgehen ließ.

Noch ein Wort, das ich nicht mag: Unwort. Ist ein Unwort ein Wort? Unfair ist nicht fair, unschön ist häßlich, ungenau ist nicht genau und ungefähr – aber lassen wir das. Ein Untoter ist jedenfalls nicht tot und ein Unwort ist dennoch immer ein Wort. Dieses Jahr ist es das Wort „alternativlos“. Ohne Kontext ist es ein äußerst harmloses Wort. Wer von einer Klippe springt, fällt nach unten. Zwangsläufig. Er kann sich nicht umentscheiden, mal in der Luft stehen zu bleiben. Der Fallende hat keine Alternative – er fällt sozusagen alternativlos.

Ich gehöre eher zur Kaste der Bärte-Raufer, wenn der Sprache Gewalt angetan wird. Und doch bringe ich es fertig, zu einer Sache mehrere Alternativen zu sehen. Röchelt da der eine oder andere Leser? Natürlich weiß ich, was lat. alter bedeutet: Der Zweite von Zweien. Der Zweite von mehreren hieße ja secundus. Ich denke, ich halte das aus, weil ich das sehe wie ein Programmierer. Zu jedem Punkt, an dem eine Entscheidung getroffen werden muß, heißt es entweder – oder.

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Es kann aber auch drei Varianten des Briefs geben. Ein guter Kunde bekommt noch eine nette Bemerkung. Weniger nett ist, dass man auf Softwarenettigkeiten eigentlich verzichten kann, aber das ist hier jetzt nicht das Thema.

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So einfach ist das zu erklären – es gibt doch immer nur eine Alternative, aber die halt manchmal mehrfach. Keine Alternative hingegen gibt es nie, solange man sich entscheiden kann. Sind beide Möglichkeiten gleich gut oder schlecht, steckt man in einer Zwickmühle, oder auch, wie es bereits die Alten Griechen nannten, in einem Dilemma. Ist nach reiflicher Überlegung immer noch keinem Weg der Vorzug zu geben, wird man nicht umhin können, eine Münze zu werfen und damit zu dokumentieren, daß auch Willensfreiheit beliebig sinnlos sein kann. Oder man entscheidet irgendwie. Einfach so. Oder man entscheidet nicht. Auch das geht, denn etwas zu lassen ist die Alternative zu etwas zu machen.

Letztes Jahr war es große Mode unter den Angehörigen der politischen Kaste, ihre eigenen Entscheidungen besonders klug und gewichtig aussehen lassen zu wollen, insbesondere aber unangreifbar. Bankenrettung, Euroschutzschirm, Stuttgart 21. So kam das Wort, eine Entscheidung sei alternativlos, in die Welt. Das ging allerdings nach hinten los. Fast jeder hatte das unangenehme Gefühl, hier würde nur von Verantwortung abgelenkt. Wer nichts entscheiden kann, ist aber nicht deshalb klug. Eher ohnmächtig. Und wer behauptet, er habe keine Wahl gehabt, war vermutlich entweder phantasielos oder überfordert. Oder beides.

Fassen wir zusammen: Eine Entscheidung treffen zu können heißt immer, eine Alternative zu haben. Keine Alternative, keine Entscheidung. Keine Entscheidung, kein Entscheidungsträger. Ob die Damen und Herren Politiker das bedacht haben? Gestern wurde „alternativlos“ zum „Unwort des Jahres“ gekürt. Als Wort des Jahres hätte es von mir 2 Punkte bekommen. Als Unwort sähe ich 20 Punkte, aber dann müßte ich die Existenz des Wortes „Unwort“ anerkennen, was mir schwerfällt. Das eigentliche Problem sind doch ohnehin eher die Leute, die diese Wörter verwenden.

Bild: Adamo Ghisi, Herakles am Scheideweg. Seine Alternative zur Arete (virtus) war die Hedone (voluptas), also entweder, wie es meist übersetzt wird, Tugend oder Vergnügen.

3 Antworten

  1. ach, und ich dachte immer, „alternativlos“ wäre eine zusammenziehung aus „alter“, „nativ“ und „los“ und der begriff, möge er wort oder unwort sein, beschreibe lediglich wie jemand, der quasi schon mit dem alter, in dem er sich heute befindet, geboren worden wäre, also nativ, dass er also niemals jünger, denn heute war, dass er in diesem zeitlosen alter gerade begänne mit irgendetwas, dieses etwas lostrete, zeitlos eigentlich, bar jedweder entwicklung, dass also in diesem sinne die kanzlerin alternativlos sei, also ein schwarzes loch. dann eben nicht!

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