In dem Drama, das sich derzeit in den Straßen Teherans abspielt, haben moderne Medien, allen voran Twitter, eine unverkennbar große Rolle gespielt. Der intuitive Schluß, den viele westliche Beobachter daraus ziehen (der Schreiber dieser Zeilen eingeschlossen) ist, dass Twitter & Co. wirksame Waffen im Kampf gegen Unterdrückung und Autokratie sind. In der heutigen Ausgabe der „International Herald Tribune“ wagt der Technologie-Experte Evgeny Morozov eine ganz andere Sichtweise: Twitter ist ein wirksames Mittel, Andersdenkende besser zu überwachen und noch wirkungsvoller zu unterdrücken.

Morozov sah das noch vor kurztem auch ganz anders. Er war es, der als erster über den Einsatz von Twitter durch Regimegegner in Moldavien berichtete (siehe: „Die Twitter-Revolution„) und die destabilisierende Wirkung dieses Kommunikationsmediums für erstarrte Zwangsregime berichtete. Inzwischen warnt er davor zu glauben, dass nur Regimegegner twittern – die Gegenseite kann es nämlich auch.

Nur, weil wir wenig über fundamentalistische Blogsites und Tweets hören, heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Laut Morozov bieten strengreligiöse Seminare im der heiligen Stadt Qom seit 2006 Blog-Workshops für Strenggläubige an. Es gibt im Iran, wie er berichtet, eine Regierungsstelle, die sich „Büro für die Entwicklung religiöser Web Logs“ nennt. Und der von den Mullahs kontrollierte iranische Geheimdienst sieht in Twitter angeblich eine hervorragende Quelle für nachrichtendienstliche Erkenntnisse – nämlich wann und wo demnächst mit Protesten zu rechnen ist und wer dahinter steckt. „Aus der Perspektive der Intelligenzgewinnung ist Twitter ein Geschenk des Himmels“, schreibt Morozov.

Auch die Bereitschaft vieler westlicher Twitterer, sich per Tweets solidarisch zu erklären, ist seiner Meinung nach eine ztweischneidige Angelegenheit: Dadurch wird die zur Verfügung stehende Bandbreite des Systems belastet, so dass Aktivisten in Iran möglicherweise nicht oder nicht schnell genug rein kommen. Dass Twitter bereits geplante Wartungsarbeiten verschieben musste, um den Tweet-Fluß in Teheran nicht während der kristischen Protestphase zu unterbinden, ist bekannt.

Das alles lässt nachdenklich werden angesichts der Euphorie, mit der in Digerati-Kreisen derzeit über die „Cyer-Konterrevolution“ gezwitschert wird.

Eine Antwort

  1. Twitterkommunikation ist transparent, daher werden immer alle Beteiligten von gemeinsam geplanten Aktionen Wind bekommen.
    Ob es sich dabei um Flashmobs, Demonstrationen oder auch Revolutionen handelt, immer weiss die Gegenseite auch Bescheid.
    Vieleicht ist es für Umstürzler, Putscher und Revolutionäre einfach nicht das richtige Medium, wenn man konspirativ sein will.

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