Die wichtigste Waffe des Mediziners
Die wichtigste Waffe des Mediziners

Mein Freund Norbert Bolz, Ordinarius an der TU Berlin, hat einmal in einem Vortrag gesagt, dass die Ärzte durch das Internet eines ihrer wichtigsten Heilmittel verlieren – den Placebo-Effekt. „Placebo“ kommt aus dem Lateinischen und heißt, wenn mich ein kleines Latinum nicht verlassen hat,  so ungefähr: „Ich werde gefallen.“ In der Medizin versteht man darunter ein so genanntes Scheinarzneimittel, das überhaupt keinen Wirkstoff enthält oder ein ganz anderes als das, was der Patient erwartet. Farbige Kalkpillen sind ein beliebtes Placebo.

Ich habe meinen Hausarzt gefragt, ob das stimmt, dass  Patienten ihrem Arzt nicht mehr wie früher blind vertrauen, sondern sich per Internet selbst über Krankheitssymptome und Medikamente informieren und sozusagen mit einer vorgefassten Selbstdiagnose in die Praxis kommen. Er hat das bestätigt. Bestimmte Patiententypen seien heute der Meinung, besser als der Arzt zu wissen, was ihnen fehlt. „Wehe, du sagst ihnen etwas anderes oder verschreibst ihnen nicht das, was sie verlangen. Die siehst du nie wieder.

Viele Menschen bilden sich auch ein, dass Handystrahlen sie krank machen. Eine kurze Google-Suche genügt, um Hunderte von „wissenschaftlichen“ Studien zu finden, die einen Zusammenhang zwischen Mobilfunkwellen und Hirnkrebs, Innenohrrauschen und sogar mit männlicher Unfruchtbarkeit (wir tragen die Dinger ja schließlich am Gürtel…) herstellen wollen. Das ist Blödsinn, wie jeder Physiker weiß: Die Strahlenmenge beim so genannten Elektrosmog ist so lächerlich gering, dass sie keine DNA-Veränderung verursachen kann. Keine DNA-Veränderung, kein Krebs, ganz einfach. Das ist auch der Grund, weshalb noch keine wirklich seriöse Studie auf der Welt einen Kausalzusammenhang zwischen Handys und Gesundheitsstörungen nachweisen konnte.

Das hält die Leute aber nicht davon ab zu glauben, dass sie krank sind. Und das stimmt sogar, wie Mediziner an der Universität Mainz jetzt nachgewiesen haben. Sie nennen es übrigens den „Nocebo Effekt„.

Dazu haben sie rund 150 Versuchspersonen längere Zeit zusammen mit einem WLAN-Router in eine Kammer gesperrt und ihnen gesagt, dass sie jetzt mit Strahlen vollgepumpt würden. In Wirklichkeit war das Gerät überhaupt nicht angeschlossen. Trotzdem klagten anschließend mehr als die Hälfte der Probanden über Kopfschmerzen, Schwindel, brennender Haut oder einem Kribbeln in Händen, Beinen oder Füssen. Noch schlimmer war es, wenn die Versuchspersonen vorher einen reißerischen Medienbericht über die angeblichen Gefahren von Handystrahlen lasen. Was uns lehrt: Lesen kann krank machen!

Ich finde diesen „umgekehrten Placebo-Effekt“ faszinierend. Überraschen tut es mich aber nicht. Merke: Der Glaube versetzt Berge – auch wenn manchmal gar keine Berge in der Nähe sind!

2 Antworten

  1. Danke für diesen Artikel! Ähnliche Gedanken treiben mich auch seit einigen Jahren um. Deshalb zwei Aspekte dazu:

    1.) Der Placebo-Effekt ist sogar dann wirksam, wenn dem Patienten mitgeteilt wird, dass in dem verabreichten Präparat kein Wirkstoff enthalten ist.

    2.) Die durch die grenzenlose Verfügbarkeit an Informationen durch das Internet gesteigerte Erwartungshaltung an Ärzte führt aber teilweise auch dazu, dass immer mehr Patienten sich sog. alternativen Heilmethoden wie z. B. Homöopathie zuwenden, für die es keinen wissenschaftlich belastbaren Wirksamkeitsnachweis gibt. Das Placebo, das beim sog. Schulmediziner wegen der vermeintlichen Information aus dem Internet nicht mehr wirkt, holt man sich eben an anderer Stelle, die – warum auch immer – noch nicht durch „Infromation“ getrübt ist.

  2. Am besten wirken Placebos übrigens, wenn auch der Arzt an die Wirkung glaubt! (siehe Homöopathie)

    Neue Chancen hat das Placebo im Internet-Zeitalter jedoch auch hinzugewonnen: Die vielen Fake-Medikamente, die man sich in den Billig-Online-24-Apotheke im ehem. Ostblock etc. online bestellt!

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.