mauchIch kenne Philipp Mauch als konservativen intelligenten Nonkonformisten. Daher lese ich gerne, was er so zu Zeitthemen beisteuert. Auf Facebook führt er Diskussionen in einem Stil, wie man es selten findet. Soll heißen, ich kenne wenige Menschen, die es schaffen, mit Menschen anderer Meinung zu sprechen und gleichzeitig mit so wenig Verbalinjurien auszukommen.

Er ist Philosoph und liebt außer seiner Familie vor allem den TSV 1860 München. Seine Doktorarbeit hat er über Nietzsche geschrieben. Beruflich vertritt er Unternehmensinteressen gegenüber Politik und Öffentlichkeit. In seinem Blog http://variationenderalternativlosigkeit.wordpress.com grübelt er über Deutschlands politische Kultur.

Seine Erkenntnisse anlässlich der Reaktionen nach einem CSU-Leitantragsentwurf sind so lesenswert, daß ich ihn um diesen Beitrag für Czyslansky bat. Und hiermit übergebe ich das Wort meinem Freund Philipp Mauch:

Was die Geister scheidet: Fordern und Fördern

Hat die Diskussion um die Idee der CSU, Zuwanderer aufzufordern, auch zu Hause deutsch zu sprechen, etwas gebracht? Etwas, außer bösem Blut? Vielleicht die Erkenntnis, dass es manchmal weniger darauf ankommt, um was es geht, als die Frage, wie beziehungsweise ob wir überhaupt miteinander reden. Ein Plädoyer für einen besonnenen Umgang und sorgfältig durchdachte Entscheidungen, wen man mit was konfrontiert oder wem man wann den Dialog verweigert.

Der Leitantrag der CSU, Zuwanderer sollten aufgefordert werden, auch in der Familie deutsch zu sprechen, hat der Partei Kritik und Häme von allen Seiten eingebracht. Viele fühlten sich an die unsägliche „Wer betrügt fliegt“ Kampagne erinnert, die Anfang des Jahres, im Vorfeld der Europawahl zu Recht für allgemeine Empörung gesorgt hatte. Hier wie dort wurde opportunistischer Rechtspopulismus vermutet, kalkulierte Anbiederei beim neu erstarkten rechten Rand des politischen Spektrums, den in Zaum zu halten die Christsozialen seit Franz-Josef Strauß als ihre ureigene Aufgabe betrachten („Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!“).

Zweifellos ist der Absender dafür Verantwortlich, wie eine Botschaft beim Empfänger ankommt. Wer also in der Vergangenheit mit dem Rechtspopulismus geliebäugelt hat, braucht sich nicht wundern, wenn er diesen auch in der Gegenwart unterstellt bekommt. Das ist die eine Variante der Geschichte. Es gibt aber noch eine andere. Die hat etwas mit der Art und Weise zu tun, in der wir künftig Debatten führen wollen. Dazu noch einmal die Frage: Was genau wurde der CSU eigentlich vorgeworfen?

Oberflächlich ging es darum, den Vorschlag absichtlich misszuverstehen, also zu behaupten, die CSU wolle mit verpflichtenden Vorschriften in die Privatsphäre von Zuwandererfamilien eingreifen, Zwei- oder Mehrsprachigkeit abschaffen oder überhaupt Barrieren für Integration und Vielfalt in der Gesellschaft aufrichten. Das war zwar unsachlich, aber recht und billig, da dadurch die mögliche Zweideutigkeit des Antrages einmal auf Herz und Nieren geprüft wurde. Eine Demonstration sozusagen, wie die CSU unausgesprochener Weise von neurechten Wählerschichten vermeintlich verstanden werden will. Diese hat sie schließlich, so die Vermutung, nach der Zustimmung zum neuen Asyl-Kompromiss der großen Koalition zu beschwichtigen. Es wurde den Konservativen aus Bayern also einmal genüsslich vorexerziert, wie leicht ihre Bauernschläue zu durchschauen und zu retournieren sei.

Dass kontroverse Forderungen ein polemisches Echo hervorrufen, gehört zum Geschäft. Man sollte sich zudem als Partei mit absoluter Mehrheit im eigenen Land nicht allzu schnell beschweren. Dass dabei die in Integrationsdebatten durchaus berechtigte Frage nach Frauen, die in patriarchalischen Milieus keine Möglichkeit haben, die Landessprache zu lernen und so die Grundlage für Partizipation und Integration jenseits familiärer Strukturen zu schaffen, gar nicht erst aufkam – geschenkt! Wer das nicht aushält, muss sich ein dickeres Fell zulegen. Insofern geht die oberflächliche Kritik schon in Ordnung, jedenfalls ist eine wehleidige Verteidigung an dieser Stelle müßig.

Im Kern, im Eingemachten sozusagen, steht da allerdings die viel grundsätzlichere und weit schwierigere Frage, was man überhaupt fordern darf, ohne das Behagen anderer berücksichtigen zu müssen, ohne sich den Vorwurf der Kaltherzigkeit und Ignoranz gefallen lassen zu müssen. Darf man Menschen aus dem Ausland ohne Sprachkenntnisse auffordern, im alltäglichen Leben, das auch das Familienleben einschließt, deutsch zu sprechen?

Zugegeben, diese Frage kommt einerseits suggestiv daher, sie klingt nach der ewigen „Das wird man noch sagen dürfen“-Litanei der notorisch politisch Inkorrekten, wodurch noch der größte Unsinn unwidersprochen ins Recht gesetzt werden soll. Nur ist da andererseits noch der Punkt, den just in der FAS vom vergangenen Sonntag Niklas Maak und Volker Weidermann in ihrer Rezession zu Jonathan Franzens Buch „Das Kraus-Projekt“ zeitgenössischen Kritikern vorgeworfen haben: „Mit Kraus begann ihre Erziehung zur Kälte, zum Desinteresse am Menschen, zum Kulturjournalismus als elaborierter Form von Häme, der Glaube, dass die gekonnt gesetzte Infamie einen Inhalt, eine Überzeugung, eine Idee davon, wie es besser, anders sein sollte, ersetze.“

Nun sind politische Diskussionen in sozialen Medien keine feuilletonistische Kulturkritik und der Leitantrag der CSU sicherlich weit entfernt von einem literarischen Debüt. Trotzdem wird bei der Lektüre des FAS-Textes etwas deutlich – oder besser, es kommt eine Frage auf: Was ist mit denjenigen, die wirklich überzeugt sind, dass der Mitte der Gesellschaft bereits zu viele Zuwanderermilieus verloren gegangen sind, weil man diese nicht aktiv genug gefordert hat, dass also die Förderung deutscher Sprache im Alltag einem gesellschaftlichen Miteinander zuträglicher ist als manches Andere? Denen also Zuwanderer am Herzen liegen und willkommen sind, die aber trotzdem die Meinung vertreten, dass Fordern für Integration und Vielfalt mindestens genauso wichtig ist wie Fördern. Darf man die auch in Kraus’scher Manier ebenso rücksichts- wie gnadenlos runtermachen? Darf man sie aufgrund eines Verdachtsmoments, begriffs- und ausdrucksgewaltig als Sprachpolizisten und Denunzianten diffamieren, die Ausländer, die beim Sprechen ihrer Muttersprache erwischt werden, am liebsten wegsperren lassen wollen? Darf man sie als provinzielle, hasserfüllte Hinterwäldler beschimpfen, die auf den Bäumen, auf denen sie sitzen, sowieso keine Ahnung haben von der großen weiten Welt? Darf man rhetorisch mit voller Gewalt draufhauen, ohne Warnung oder Nachfrage?

Die Antwort ist, dass man es von Fall zu Fall sorgfältig bedenken und entscheiden muss. Es gibt Situationen, in denen man legitimer Weise rhetorisch zum maximalen Vergeltungsschlag ausholen und anschließend eine faire und differenzierte Auseinandersetzung verweigern kann. Diese sollten in einer funktionierenden Demokratie selbstverständlich die – äusserst seltene – Ausnahme bleiben.

Bei der entsprechenden Entscheidung, wann man wem den Dialog verweigert, eignet sich als Kriterium, was Hannah Arendt über Banalität und Dummheit in der Diskussion um Adolf Eichmann gegenüber Joachim Fest äusserte: „Das war die Dummheit, die so empörend war. Und das habe ich eigentlich gemeint mit der Banalität. Da ist keine Tiefe – das ist nicht dämonisch! Das ist einfach der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist“. In dem Prozessbericht „Eichmann in Jerusalem“ vertrat sie die berühmte These, dass Eichmann nicht gedankenlos war, sondern unfähig zu denken.

Wer sind nun im vorliegenden Fall die Dummen? Die Autoren des Leitantrages zur Integration in der CSU, weil sie unfähig waren, darüber nachzudenken, wie ihre Forderungen bei den Betroffenen ankommen, welche Ängste sie auslösen? Oder die maßlosen Kritiker dieses Leitantrags, weil sie unfähig waren, darüber nachzudenken, wie ihre vernichtende Häme bei den Betroffenen ankommt, welche Frustration sie auslöst? Beide?

Wie auch immer wir diese Frage für uns beantworten mögen, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt ist es nicht dienlich, wenn wir ohne Prüfung meinen, im Recht zu sein, uns verbal alles herausnehmen zu können und über den jeweils anderen keine weiteren Gedanken zu machen brauchen. Seine Mitmenschen gedankenlos zu übergehen, auch wenn sie einem noch so fremd sein mögen, ist immer eine Dummheit.


Der Passus aus dem CSU-Leitantrag in seiner aktuellen Version:

Integration durch Sprache

Damit das gesellschaftliche Miteinander funktioniert, müssen Migranten die deutsche Sprache lernen. Der Nachzug von Familienangehörigen aus Staaten außerhalb der EU und der Türkei soll weiterhin grundsätzlich an den Nachweis deutscher Sprachkenntnisse vor der Einreise gebunden bleiben. Für Ausländer, die ohne Sprachkenntnisse einreisen oder hier bleiben dürfen, bieten wir Sprachförderung in allen Lebenslagen an. Wer dauerhaft hier leben will, soll motiviert werden, im täglichen Leben deutsch zu sprechen.


Referenzen:

FAS vom 07.12.2014, Niklas Maak und Volker Weidermann: „Die Schule der Vernichtung“
http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/karl-kraus-projekt-die-schule-der-vernichtung-13306253-p3.html

Hannah Arendt, Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit, S. 44.
Leseprobe von PIPER:
http://www.piper.de/buecher/leseprobe/eichmann-war-von-empoerender-dummheit-isbn-978-3-492-30411-5/extract

Eine Antwort

  1. Eine sehr, sehr gewagte Behauptung,: Der Spruch von FJS, wonach es „rechts von der CSU keine leginitimierte Partei geben“ dürfe, diene dazu, die rechten Spinner „im Zaum zu halten“. Die arme CSU opfert sich also, damit andere nicht zu weit nach rechts abdriften? Aber was ist, eine ganze Menge Deutsche wie heute (siehe PEDIGA) so weit Rechtsaußen angelangt sind, dass ihnen zu folgen die CSU an den oder über den Rand des moralisch Vertretbaren bringt? Damit gäbe die CSU ihre politische Autonomie auf. Ich halte das leider für rückgratslos und beschämend.

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