HP Scorpion FS

Was hätte Sir Stirling Moss wohl gefahren, wenn er nicht aus pekuniären Gründen gezwungen gewesen wäre seinen Cooper immer wieder wie eine gesengte Sau im Kreis herum zu pilotieren? Einen Austin Healey? Vermutlich. Aber im zweiten Rang hätte er sich zweifelsfrei für ein Liegerad entschieden. Schließlich ist ein Liegerad das einzige einem wahren Gentleman angemessene Tretgefährt. Einzig in einem Liegerad lässt sich ohne Gefährdung für Kleidung und Brust aufs Angenehmste eine Zigarre im Fahrtwind rauchen. Wie elendiglich nehmen sich doch da Sitzradfahrer aus, die ihren Kopf in den Nacken pressend nicht viel mehr sehen, als jenes endlos graue Asphaltband, über den sie hinweg huschen. Ein Liegeradfahrer hat die ganze Welt nicht nur zu Füßen, sondern auch im Panorama-Blick. Die Lunge atmet frei und hat ausreichend Volumen für eine anständige Montecristo No 2.

Wenn aber schon ein Liegerad, dann wohl nur ein Tadpole, also ein Fahrzeug, das beide Räder voraus fährt und damit die klassische Form des einzig relevanten Wagens der Marke BMW aufgreift, der Isetta. Denn das ist der Weg der männlichen Evolution: vom Delta des kleinen Mannes (siehe Bild) über vierrädrige Irrungen und Wirrungen zum Tadpole.

Wenn aber endlich ein Tadpole, so kommt natürlich nur der wahre Roadster unter den Fahrrädern in Betracht, das HP Scorpion FS.

Ja, das Scorpion FS ist der Roadster unter den Rädern. Ziemlich genau ein englisches Fuß trennt das Gesäß vom aufreibenden Asphalt, 12 Zoll, was in etwa der Schuhgröße 48 ½ entspricht. Würde man es tiefer legen, würde aus dem Scorpion eine Fräse. Pedaliert wird eine Etage höher, je nach Tretlager in luftigen 40 bis 45 Zentimeter Höhe. Das ist dann schon wieder fast Kopfniveau. Nach oben treten ohne unten zu buckeln – ein Fahrzeug mit wahrhaft demokratischer Gesinnung. Das lob ich mir.

Gegenüber benzingetriebenen Roadstern hat das Scorpion FS hand- und fußfeste Vorteile: Zwei Gaspedale (Shimano PD A530), drei Handbremsen. Von den Letzteren greift sich je eine Bremse je ein Rad. Die beiden Roten krallen sich die Vorderräder, die kleine Schwarze für das Hinterrad dient lediglich als Wegfahrsperre in verhängnisvoller Hanglage.

HP Scorpion FS Bremsgriffe

Dabei federt das Scorpion FS den Piloten der unsterblichen Göttin DS gleich sanft über die Unwägbarkeiten des öffentlichen Straßenlebens hinweg. Die moderne Einzelradaufhängung an der Vorderachse in Verbund mit einer fetten rückwärtigen Feder machen es möglich. Earl S. McPherson verdanken wir die Erfindung der schönsten Federbeine seit Yvonne de Carlo.

HP Scorpion FS McPhearson

Und was im Jahre 1950 im Ford Consul eine fahrtechnische Revolution auslöste, wird mit dem Scorpion FS endlich auch für den Pedalisten Realität: zwei Federbeine, die durch einstellbare Dreieckslenker und wartungsfreie Lager aufs Schönste den starren Rahmen vom Boden entkoppeln. Und ankoppeln, wenn es darum geht Sprünge zu vermeiden. So passt sich der Scorpion dem Boden an, wie weiland Dean Martin, wenn er zu viel getrunken hatte. Und wann hatte er das nicht? Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man das HP Scorpion deshalb auch den Dean Martin unter den Fahrräder nennt.

Unter McPhersons schönen Beinen sitzt ein Querstabilisator, der in zügiger Kurvenfahrt das übermäßige Einfedern des äußeren Federbeins zu verhindern trachtet und damit auch der Neigung zum Übersteuern weitgehend den Garaus bereitet.

Die Federung wird komplettiert mit eben jener Heckfeder und lässt sich feinfühlig per Elastomeren und Abstandshaltern nach Fahrerlaune oder gar Tagesform einstellen: für den leichten Sonntagsritt mit französischer Eleganz oder den werktäglichen Working Class Heroe mit britisch nüchterner Härte: ein Roadster, der auf Wunsch zur Sänfte sich züchtigen lässt.

HP Scorpion FS Hinterradfeder

Was wären schöne Beine ohne passendes Schuhwerk? Das HP Scorpion FS steht auf drei Schwalben, auf neuen Tryker der Marke Schwalbe. Tryker sind keine gewöhnlichen Reifen. Sie wurden eigens für Dreiräder entwickelt, laufen leicht und verschleißen wenig. Schließlich müssen Dreiradschlappen weniger Kurven- und Schräglagen verkraften, als Zweiradreifen. Wer sich auf einem Trike in die Kurve legt, wird gelegt.

Sprach ich schon von der Schaltung? Nein, es handelt sich nicht um jene derzeit ebenso berüchtigte wie angesagt Single-Speed-Variante, auch nicht um einen jener Rasenmähermotoren, die allgegenwärtig Seniorenräder künstlich befeuern wie längs zersägte Turborollatoren. Es handelt sich in diesem Fall um eine absolut schauinslandtaugliche 14-Gang-Rohloff-Schaltung in alfaroter Hinterradfelge. Bergkönig Hans Stuck hätte gewisslich seine Freude damit.

HP Scorpion FS Schaltnabe

Wer freilich rasch den Berg erklommen hat, muss irgendwann auch wieder hinab. Um im Rausch der Tiefe zur Not auch wieder zum Stehen zu kommen haben die Ingenieure von HP dem Scorpion feine hydraulische Scheibenbremsen (Tektro Auriga Pro) spendiert. Trocken und sämig wie ein Wasa Sesam-Knäcke packen die Scheiben bei Bedarf zu.

HP Scorpion FS Scheibenbremse

Sind Liegeräder ein teurer Spaß? Ja, definitiv. Und nein, gar nicht. Für zwei Scorpion FS mag man auch alternativ einen Dacia bekommen, sogar mit Sonderausstattung. Aber nach zwei Kilometern möchte man das Scorpion nicht einmal mehr mit einem Porsche tauschen, mit einem BMW schon nach hundert Metern nicht. Mehr Spaß geht nicht. Mit dem auf kurviger Strecke ausgestoßenem Adrenalin kann man einen mittelgroßen bayerischen Landkreis locker imprägnieren.

Es kann also schon mal später werden mit der Rückkehr nach einem Ausritt. Gut wenn man sich dann auf ein ordentliches Licht verlassen kann. 80 Lux der roten SON Edelux, gespeist aus einem SON Nabendynamo sind eine Ansage. Sie kommen – natürlich – aus einem roten Aluminiumgehäuse. Plastefunzeln haben auf einem Velo-Roadster nichts verloren. Die gehen gar nicht.

HP Scorpion FS Frontlicht

Wird man mit Licht besser gesehen? Vermutlich schon. Liegeräder werden leider oft übersehen. Aber Liegeräder werden auch gerne gesehen. Mehr Rücksicht automobiler Zeitgenossen habe ich im Kreisverkehr selten erlebt, als pilotierend auf dem Scorpion. Einen Audi-Fahrer hätte es heute fast aus dem Kreisel getragen, so neugierig war er auf das Rad fixiert, statt auf seinen Kurs. Diese Form der Aufmerksamkeit muss man als Cycliste erstmal ab können. Und vermutlich hilft auch eine Fahne in Sachen Sichtbarkeit. Man kommt dann leichter mit anderen dreiradfahrenden Kindern ins Gespräch („Ich darf schon ohne Stange“) und auch bei einer Polizeikontrolle ist man als Radler mit Fahne erheblich besser gestellt, als ein Autofahrer mit Fahne.

Ich gebe zu: ganz so, wie hier abgebildet und besprochen, kann man ein Scorpion FS beim Hersteller HP velotechnik nicht erwerben. Die Schwarz-Rot-Kombination verdankt sich meinem sehr eigenen Geschmack und wurde möglich erst durch die kreative und fürsorgliche Arbeit meines Händlers: Dank dafür an Brigitte und Andreas Seilinger von Traumvelo in Ottenhofen bei München. Wären Sie Autohändler, könnte man sagen, die beiden haben „Benzin im Blut“. Aber was sagt man bei enthusiastischen Velo-Händlern? Speichen im Kopf?

Egal – falls Sie in den nächsten Monaten irgendwo ein rot-schwarzes Etwas mit breitem Grinsen knapp über dem Asphalt entdecken sollten, dann wissen Sie jetzt: es ist ein Freund Czyslanskys – der diesen Sommer wohl nur wenig Zeit zum Posten haben wird …

———— NACHTRAG ————–

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Nachsatz

Czyslansky testet ab und an emotionale und technische Produkte: gründlich und kritisch, aber nach rein subjektiven Kriterien. Bislang erschienen auf diesem Blog folgende Testberichte:

Die schnellsten High-End-Lautsprecher im Bugatti Chiron
Kaffeemaschine von Kaffee Partner
Radio Tuner von Restek
Fahrrad (Trike) von HP velotechnik
Sony NEX-7 Digitalkamera
Microsoft Surface Tablet PC
Citroen DS 5 Hybrid
Der Audio-Technica ATH-W1000X Kopfhörer am Reussenzehn Röhrenkopfhörerverstärker Harmonie III
Der Tonarm Mörch DP-8 im Test
Dichtung und Wahrheit –
Der RESTEK EPOS+ CD-Spieler im Test

Der Phonovorverstärker RESTEK MINIRIA

Kauf-Tipp: Mobile Kopfhörer für unterwegs

 

19 Antworten

  1. Die schönste Beschreibung dessen was man nicht Beschreiben kann. Man muss es erleben. In diesem Sinne, hole ich gleich mein Trike, nur ein Selbstbau, aus der Garage um ein paar Stunden zu fahren.

  2. Herzlichen Glückwunsch,
    aus fränkischer Sicht ziemlich breitspurig unterwegs. Was wird denn wohl der Minister Ramsauer zu diesem tiefergelegten Pedalritter sagen: aufgemotztes 14-Gang-Velo – jedes Tempolimit ignorierend – kalorienfressender Dreiradantrieb – wütend klingelnd auf der Überholspur. Schon wieder ein Kampfradler?

    Oder hat da sein 7. Sinn was verwechselt? Ist es doch ein Beitrag auf eine lärm-, Abgas- und rußfreie Mobilität auf dem täglichen Weg zur Arbeit? Sollte es einmal länger dauern, kann auch übernachtet werden. Einflugschneisen gibt es ja überall.

  3. Ich glaube, Du tränkst Deine Montecristo mit irgendeiner Flüssigkeit, deren Erforschung sich bereits der große Czyslansky hingegeben hatte … Du weisst schon noch, daß Du über ein Fahrrad schreibst?

    Anyway, ich werde mich wieder zu meiner Sänfte begeben. Das ist stilvolle Fortbewegung, wenn man genug Träger hat. Um es mit Gisela Schneeberger zu sagen: „Wo sans denn scho wieda, meine Sämpftln….“

  4. Heute erstmals mit dem Scorpion ins Büro gefahren. Durch wunderschöne Landschaft auf Nebenstraßen. Dabei von einem völlig geschockten Kleinwagenfahrer geschnitten worden. Dem ist vermutlich an dieser Kreuzung noch nie ein Fahrzeug begegnet. Und dann sowas. Armer Kerl …

  5. Hab jetzt noch die Brooks Brick Lane Roll Up Panier-Taschen aufgeschnallt. Passen wunderbar zum Roadster. Meistens braucht man nur eine Tasche und kann die andere einfach nach oben rollen. Gewachstes Leinen. Eine Art Roadster-Kofferraum-Stoff-Verdeck. Bild lad ich gleich hoch.

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