Antoine Jones ist auf Big Brother schlecht zu sprechen…

In George Orwells Buch „1984“ steht jeder unter Dauerüberwachung durch den allmächtigen Staatsapparat, und seitdem leben wir in der ständigen Angst vor dem „Big Brother“. Doch selbst Orwell hat sich nicht vorstellen können, dass die Staats-Wächter eines Tages jederzeit exakt bestimmen könnte, an welchem Ort sich jeder einzelne Bürger befindet. Doch inzwischen sind wir schon fast soweit.

Das Problem ist das Navigationssystem GPS. Die insgesamt 32 Satelliten, die dauern die Erde mit 3,9 km pro Sekunde umkreisen, also einmal alle 12 Stunden, decken fast die gesamte Erdoberfläche ab und sind in der Lage, die Position eines Empfangsgeräte bis auf 7,8 Meter genau zu bestimmen.

Und da fast jeder von uns heute ein Smartphone besitzt und jedes ordentliche Smartphone über einen GPS-Empfänger verfügt, weiß der große GPS-Bruder stets recht genau, wo wir uns gerade befinden. Das ist recht nützlich, wenn ich zum Beispiel meinen Freunden per Foursquare oder Twitter sagen will, dass ich gerade vor den Museumslichtspielen in München stehe und mir gleich Roland Emmerichs neue Film-Katastrophe namens „Anonymous“ anschauen will. Es macht mir aber Gänsehaut wenn ich daran denke, dass auch ein Polizist oder Staatsschützer am Monitor sitzen und meine Bewegungen verfolgen kann.

Dass das geht, und wie das geht, hat ja der Grünen-Abgeordnete Malte Spitz sehr schön bei Zeit-Online dokumentiert. Zuerst klagte er bei der Telekom seine gespeicherten Geodaten ein, dann ließ er sie in eine interaktive Landkarte einfließen. Spielt man das Video ab, dann sieht man genau, wie er sich von Berlin aus diverse Male nach Erfurt, München oder Bonn in Bewegung setzt und wie lange er sich dort aufgehalten hat. Zugegeben: Man sieht nicht, was er dort getan hat, aber das Problem können eifrige Fahndungsbeamte sicher irgendwie lösen.

Dass unser Aufenthaltsort eine Ware ist, die sich ein Dienstanbieter gegen Geld beschaffen kann, ist längst aktenkundig:

 

Das scheint bei uns in Deutschland kaum jemanden zu stören, vor allem nicht Politiker. Auf EU-Ebene regt sich wenigstens Kommissarin Viviane Reding darüber auf und fordert in einem Interview strengere Datenschutzregeln für GPS-Provider.

Aber es sind mal wieder meine Landsleute, die Amerikaner, die offenbar richtig Ernst machen wollen. Jedenfalls liegt dem Supreme Court jetzt ein Fall vor, dessen Ausgang mit Spannung erwartet wird. Es geht darum, ob die Auswertung von Bewegungsdaten ein Verstoß ist gegen den vierten Verfassungszusatz oder nicht. Dieser garantiert das Grundrecht des Bürgers auf Schutz vor willkürlicher Durchsuchung oder Festnahme („unreasonable search and seizure“)  durch den Staatsapparat.

Es geht um einen gewissen Antoine Jones, einen Nachtklubbesitzer aus Washington, der von der Polizei verdächtigt wurde, Mitglied einer Kokain-Bande zu sein. Um beweisen zu könne, dass er sich mit Drogen-Dealern traf, montierten sie einen kleinen GPS-Sender unter die Stoßstange seines Jeep Cherokee, ohne sich vorher dafür einen richterlichen Beschluss geben zu lassen.

Jones wurde aufgrund dieser Beweise zu Lebenslänglich verurteilt, ficht das Urteil aber nun vor dem obersten Gericht des Landes an. Und seine Chancen stehen sehr gut, meinen jedenfalls Prozessbeobachter und Rechtsgelehrte. Jedenfalls ein Bundesrichter ihm in der Berufungsverhandlung recht gegeben, und über dieses Urteil muss der Supreme Court jetzt abschließend befinden.

Wie die Richter darüber denken, ließ einer von ihnen, der Gerichtsvorsitzende John G. Roberts, am Dienstag ein bisschen durchblicken, als er die Frage erhob, ob es womöglich einen Unterschied mache, ob der Staat einzelne Informationen über einen Bürger erfasse oder komplette Bewegungsprofile. „Wir reden hier über den Unterschied zwischen einzelnen Mosaiksteinchen und einem vollständigen Bild“, sagte der Mann in der Robe.

Das Abschlussurteil wird auch von anderen Branchen mit Spannung erwartet, beispielsweise die  Privatdetektive. Im Bundesstaat New Jersey, also unweit der Hauptstadt, wo die Oberrichter gerade tagen, gab ein Berufungsgericht kürzlich einer  eifersüchtigen Ehefrau Recht, die heimlich einen GPS-Empfänger in das Handschuhfach ihres Mannes schmuggelte und ihn damit auch prompt „in flagranti“ mit einer anderen ertappte. Das Paar ist inzwischen geschieden.

Ich denke, der Fall sollte klar sein, auch bei uns: Meine Bewegungsdaten gehören mir und sonst niemandem. Wenn ein Polizist sie haben will, muss er einen Richter überzeugen, und der sollte vorher ziemlich kritische Fragen stellen.

Ich würde sogar so weit gehen, das 2008 vom Bundesverfassungsgericht festgestellte „Computer-Grundrecht“, das expresis verbis auch für Laptops und andere IT-Geräte gilt, auch auf GPS-Handys auszuweiten.  Mein Smartphone ist auch ein Teil meiner von den Verfassungsrichtern unter besonderen Schutz gestellten „privaten Datensphäre“ – ja, es ist wahrscheinlich das persönlichste Gerät, das ich habe – es ist nämlich mein persönlicher Begleiter in allen Lebenslagen. Saunagänge ausgenommen.

Eine Antwort

  1. Schöner Artikel, bin ja auch so ein Paranoiker in solchen Sachen.

    Was in dem Artikel für den Unbedarften leser eventuell falsch rüber kommt: nicht GPS überwacht unsere Bewegungen, sondern die Telefone und anderen Mobilen Geräte.

    GPS ist passiv und kennt seine Benutzer nicht, sondern diese berechnen Ihre Position durch triangulation der Signale von mind 3 GPS-Sateliten. Das klappt beim Militär unter bestimmten vorraussetzngen übrigens auf den Zentimeter genau!

    Aber Mobilfunkanbieter können das auch dann berechnen, wenn mein Smartphone offline ist und gar keine berechneten GPS Daten sendet. Dann geht es nach dem gleichen Prinzip anhand der Sendemasten des Mobilfunakbieters (nur nicht ganz so genau)
    In Städten kann man seine Position auch ganz gut über die Signalstärken von W-Lan Netzen berechnen, etc Aber auch hier kommen die Daten, wie auch bei GPS nur dann zu BigBrother, wenn man online ist. Das Abgreifen der Psoitionsdaten via Mobilfunktnetz ist da viel gefährlicher, hier reicht es daß das Handy an ist…

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