Am Freitag wird das schwedische Bezirksgericht in Stockholm, das im Fall des Bittorrent-Netzwerks „The Priate Bay“ zu entscheiden hat, im Namen des Volkes sagen, ob der Tausch von Musikstücken legal ist oder nicht. Aus diesem Anlass ist gerade in den USA wieder eine heftige Diskussion über die Frage ausgebrochen, welches Recht im Cyberspace zu gelten hat sowie darüber, wie der alte Schlachtruf der Online-Libertinäre auszulegen ist, wonach Information frei und damit auch umsonst zu sein hat. Dahinter steht meines Erachtens eine viel weiterreichende Frage, nämlich die, ob die Sperrung des Zugriffs auf Informationen eine Verletzung des Menschenrechts darstellt.

Nachdem im vergangenen Jahr das Bundesverfassungsgericht in einer aufsehenerregenden Entscheidung ein „Computer-Grundrecht“ (siehe www.cole.de,  „Fünf Fragen an die Richter„) definiert hat, wäre ein „Grundrecht auf Internet-Zugang“ eigentlich nur ein logischer nächste Schritt. Damit wären Vorhaben wie etwa das der französischen Regierung, die Provider zu zwingen, ihren Kunden die Leitung zu kappen, wenn sie dreimal wegen Online-Piraterie erwischt werden,  aber klar verfassungsfeindlich. Und aus dem gleichen Rechtsprinzip heraus ließen sich gezielte Sperren einzelner Inhalte im Netz, etwa die von Nazis oder Päderasten, ebenfalls aus formaljuristischen Gründen zurückweisen.

Der Zugang zum Internet ist heute kein Luxus mehr, sondern teilweise ein Bestandteil der Grundversorgung. Immer mehr Informationen werden aus Kostengründen nur noch online zur Verfügung gestellt, und dieser Trend wird sich verstärken.

Das beste Beispiel dafür, wohin die Reise geht, bietet die Steuergesetzgebung. Firmen sind heute bereits dazu verpflichtet, bestimmte Steuererklärungen online abzugeben. Sperrt ein Provider einem Unternehmen den Internet-Anschluss, macht er sich theoretisch der Beihilfe zum Steuerbetrug schuldig. Auf jeden Fall hätte das betroffene Unternehmen einen hervorragenden Grund, den Provider auf Schadensersatz zu verklagen.

Im privaten Bereich wird die Sache noch brenzliger. Aus gutem Grund ist es dem Gerichtsvollzieher bei der Zwangsvollstreckung untersagt, Dinge zu pfänden, die zum Leben nötig sind. Dazu zählt nach heutigem Verständnis der Fernseher, in manchen Fällen auch schon der Computer. Wenn aber ein großer Teil unserer Sozialkontakte, unserer Nachrichtenbeschaffung und der Befriedigung unserer Unterhaltungsbedürfnisse per Internet stattfinden, führt das  Abkoppeln des Einzelnen vom Netz eindeutig in ein Dasein, das nach heutigen Maßstäben nicht mehr als menschenwürdig anzusehen ist.

In der International Herald Tribune wird Sacha Wunsch-Vincent von der OECD mit den Worten zitiert: „Es setzt sich zunehmend das Verständnis durch, dass Breitband die Basis bildet für das wirtschaftliche und soziale Miteinander. Manche fragen sich deshalb, ob sich das Sperren von Internet-Verbindung damit in Einklang zu bringen ist.“

In Neuseeland und Großbritannien sind in jüngster Zeit Gesetze, die Provider zum Vorgehen gegen Internet-Piraten zwingen sollten, entweder außer Kraft gesetzt oder gar nicht erst beschlossen worden. Es wird spannend sein zu sehen, ob sich die schwedischen Richter von solchen Überlegungen leiten lassen.

PS: Der Chaos Computer Club u.a. rufen unter dem Motto „Aufstehn für ein freies Internet: Zu Besuch bei Zensursula“ am kommenden Freitag zu einer Demo auf. Treffpunkt: 9 Uhr vor dem Presse & Besuchszentrum der Bundesregierung.

7 Antworten

  1. Eine Sperrung des Internetzugangs ist für mich potentiell vieles. Sie kann sein: Unwirksam, unangemessen, ungerecht, unsinnig.

    Ein „Grundrecht auf Internet-Zugang“ hingegen halte ich für überzogen. Ersetzt man oben „Internetzugang“ mit „Auto“, ändert sich kaum etwas. Dennoch kann man den Führerschein verlieren, ohne dass Menschenrechte verletzt würden.

    Außer, vielleicht, es geht um meinen Führerschein, aber ich hab ihn ja schon längst wieder 🙂

    So, das von mir! Überrascht?:-)

  2. lieber tim, das kommt davon , wen man zuviel anlauf nimmt: man springt über den kasten hinaus und schlägt sich die birne blutig.

    das sind doch zwei völlig verschiedene dinge: das recht auf einen internetzugang (dafür bin ich immer) und das recht auf zugang zu jedweder information. letzteres ist humbug. wenn, wie du schreibst, „die Sperrung des Zugriffs auf Informationen eine Verletzung des Menschenrechts darstellt“, dann greifst du damit nicht nur die privatsphäre an, sondern natürlich auch das gute alte urheberrecht, von dem du als freier publizist lebst.

    ich bin ein alter verfechter des deutschen urheberrechts auch in zeiten des internet. und ich bin deshalb gegen unregulierte tauschbörsen und ich bin dagegen, dass google ohne meine aktive zustimmung meine bücher und artikel kostenlos ins internet stellt. was ich wem schenke, will ich immer noch selbst bestimmen. und welche informationen ich wem preisgebe auch.

    ja, ich liebe auch open source. aber auch da ist das prinzip immer, dass der autor selbst über die lizenzform der weitergabe seiner produktion entscheidet. und das kann mal so und mal anders sein.

    niemand hat ein menschenrecht auf quellcodes, auf fremde nutzungsrechte, auf kinderpornografie, auf nazischeiß, auf …

  3. @Michael Kausch: Information ist Information, punkt! Und Zensur ist Zensur. Das Urheberrecht ist ein Relikt aus der informationellen Steinzeit, wer kein besseres Geschäftsmodell hat als Leser und Zuhörer (=Kunden) zu kriminalisieren , sollte etwas anderes lernen. Das Internet hat die alten Spielregeln überflüssig gemacht: Sie stören nur noch.

  4. Es gibt Tage, da sollte man lieber im Bett bleiben. So wie heute. In München regnet es nach zwei vorgezogenen Sommerwochen. In Stockholm demonstrieren Richter technische und moralische Inkompetenz und schicken Fredrik Neij, Gottfrid Svartholm, Peter Sunde und Carl Lundström ins Gefängnis, weil sie eine Suchmaschine im Internet betrieben haben und auf The Pirate Bay keine einzige Raubkopie gespeichert ist. Ja, und dann unterschreiben die Chefs von Deutsche Telekom, Kabel Deutschland, Vodafone/Arcor, Telefónica/O2 sowie Alice/Hansenet brav einen vom Bundeskriminalamt aufgesetzten Vertrag, mit der sie zur freiwilligen Zensur des Internet verpflichten: Sie wollen klag- und kommentarlos eine vom BKA erstellte Liste von Websites blockieren, ohne Rechtsverfahren, ohen Unschuldsvermutung, ohne Kontrolle darüber, ob es sich überhaupt um Kinderporno handelt oder vielleicht auch nur um Aufklärungsseiten zum Thema. Oder vielleicht eines Tages auch die Hoimepages unschuldiger Bürger. Es ist das geistige Gegenstück zur Bücherverbrennung durch die Nazis: Nicht nachdenken, nur draufschmeißen auf den großen Scheiterhaufen unserer liberalen Demokratie. Willkommen in der Bundesüberwachungsrepublik Deutschland. Ich glaub, ich zieh mir jetzt die Decke über den Kopf.

  5. Ja freilich, das ist ein schwarzer Freitag für Menschen, die Informationsfreiheit zu schätzen wissen. Gut, dass es noch Leute gibt, die das überhaupt als Problem sehen. Ich hoffe, du bleibst dran am Thema, wenn du den Kopf unter der Decke rausstreckst und dich wieder mit der Welt befasst. Denk an William Carlos Williams: „There’s a lot of assholes out there.“

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