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Bei einer Katastrophe, wie dem Absturz der Germanwings A320, überwiegt bei mir gelegentlich doch die Wut die Trauer. Es ist so schäbig ansehen zu müssen, wie Blogger, Twitteristi, Facebook-„Freunde“, alte Medien und ganze Firmen die Katastrophe dazu nutzen, ihr eigenes billiges Süppchen zu kochen.

Ich habe den gestrigen Tag als Referent auf einem Storytelling- und Social-Media-Workshop bei Lufthansa Systems verbracht. Da war die Betroffenheit der Teilnehmer über das Unglück, das sich ja quasi in der eigenen Unternehmensfamilie abgespielte, sehr sehr groß. Und natürlich zwang mich das gestern die Reaktionen der Zeitzeugen in den sozialen Medien intensiver zu studieren, als ich dies sonst wohl getan hätte. Manche Leutchen in den sozialen Kanälen mögen ja wirklich betroffen gewesen sein und sie versuchten vielleicht ihre Trauer durch Postings, Tweets und Kommentare durch Teilen abzuarbeiten. Ich werde aber das Gefühl nicht los, dass viele Selbstdarsteller unter den Trauernden die „Story“ auch für ihre ureigensten wirtschaftlichen oder publizistischen Interessen zu nutzen trachteten.

Den Gipfel bildete gestern wohl jenes Unternehmen, das seine Fähigkeiten zur Datenrettung mit einer Sonderaktion für die Hinterbliebenen in einem Pressetext so beworben hat:

„Nach Flugzeugabsturz: kostenlose Datenrettung für geborgene Kameras und Laptops

Angehörige der am Dienstag über Frankreich verunglückten Flugpassagiere oder Crew-Mitglieder des Airbus A320 erhalten die Möglichkeit, kostenlos Daten wie Foto- und Filmmaterial von geborgenen Kameras, Laptops und USB-Sticks im Reinraumlabor rekonstruieren zu lassen. Das Datenrettungsunternehmen […] [mik: ich will hier nicht auch noch Werbung für dieses Unternehmen machen] hatte bereits vor fünf Jahren eine ähnliche Hilfsaktion nach dem Flugzeugabsturz von Tripolis durchgeführt und konnte damals fast 80 Prozent der angelieferten, zerstörten Datenträger wiederherstellen und an die Familienmitglieder aushändigen.“

Die Grenzen zwischen gut gemeinter Hilfsbereitschaft und leichenfledderndem Marketinggedöns mögen fließend sein. Mir graut es vor solchen Aktionen.

Mir graut es auch vor Marketendern, die – erneut gewollt oder aus Unsensibilität – mit der Katastrophe als Aufmacher die Öffnungsrate ihrer Newsletter treiben um hernach ihre „Ultra-Low-Power-Mikrocontroller“ anzupreisen:

„An einem Tag, an dem 150 Menschen bei einem Flugzeugabsturz ihr Leben verloren haben, über einen neuen Mikrocontroller zu schreiben, fällt nicht leicht [mik: Dann lass es doch einfach!]. Als allererstes möchte ich auch im Namen aller Kolleginnen und Kollegen den Angehörigen der Absturzopfer des verunglückten Germanwings-Fluges mein Beileid aussprechen [mik: Vermutlich haben die im Moment anderes zu tun, als diesen Newsletter zu lesen.]. Nichtsdestotrotz ist es unsere Aufgabe, Sie auch an einem schwarzen Tag wie diesem über Neuigkeiten zu unterrichten, vor allen Dingen dann, wenn sie das Potential haben, einen ganzen Markt zu verändern.“

Dass es auch anders geht, bezeugt ausgerechnet jemand, dem man „Moral“ in manch doppelzüngigen Kreisen gar nicht so zutrauen will. Ein Freund bei AGNITAS, dem E-Mail-Versender für BURDA-Publikationen, hat mir gestern Abend noch erzählt, dass der Playboy statt seines Newsletters einfach die Nachricht versendet hat, dass angesichts des Germanwings-Dramas der Newsletter einfach ausfällt. Auf Klick-trächtige Links haben die Playboy-Macher verzichtet. Sie haben einfach erklärt, dass sie heute respektvoll keine Lust auf den Playboy-Newsletter haben.  Fertig. So geht das auch. Und so macht man das richtig. Oder man macht ehrlich ohne Kotau seinen Job weiter.

Der Playboy-Entscheider wäre auch ein gutes Vorbild für manch einen Zeitgenossen in Twitter, Facebook und Google+. Denn Kommentare wie dieser hier, gefallen mir auch nicht:

Germanwings01

Es interessiert die Welt nicht, ob auch jeder Blogger und Facebook-Fritze betroffen ist. Aber es schafft natürlich schnell wieder einige „Likes“ und „Shares“. Und die Kommentare sind ebenso nervig:

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Sprachlos geworden? Oder soll das Kommunikation sein? Am Ende gar „soziale“?

Ein Beispiel aus den Tasten der Glauben-an-das-Gute-Verlierer:

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Warum soll denn eine deutsche Maschine nicht abstürzen? Fliegen ist immer gefährlich, solange Luft keine Balken hat. Und warum „durfte das nicht passieren“? Was passieren kann, passiert irgendwann und irgendwo. Das Unglück ist schlimm und für die Betroffenen furchtbar überraschend, aber doch nicht als solches überraschend.

Gestern Abend in den Fernsehnachrichten wurde die sprechende Sprachlosigkeit dann gebührenfinanziert: Caren Miosga in den Tagesthemen: „Kann denn ein kleiner Ort wie Haltern so eine Katastrophe überhaupt verarbeiten?“ Ihr zugeschalteter Gesprächspartner guckte zurecht dumm und überrascht. Was ist denn das für eine Frage?  Man kann etwas vielleicht schlecht verarbeiten, aber nicht verarbeiten? Kann man nicht nicht kommunizieren?

Und die ewige Rederei um das Nicht-Wissen: „Weiß man schon etwas über die Absturzursache?“ „Man weiß vermutlich noch nichts über die Absturzursache?“ „Zur Absturzurrsache weiß man noch nichts!“ Mit solchen Sätzen kann man ganze Sondersendungen füllen. Das erinnert heftig an mein grundlegendes mediales Erweckungserleben in der Nacht der Mondlandung mit Günther Siefarth: „Ist denn Armstrong schon draußen?“ „Ja, jetzt scheint Armstrong draußen zu sein…“ „Nein, ich höre aus Houston, Armstrong ist noch nicht draußen“. „Es scheint, als ob … nein doch nicht … Armstrong ist noch nicht draußen. “ „Können wir noch einmal nach Houston schalten?“ „Ah ja. Armstrong scheint noch nicht draußen zu sein“. „Das ist offenbar ein Teil der Mondlandefläche. Aber Armstrong ist noch nicht draußen“. 26 Stunden haben es Siefarth und Kollegen damals geschafft ohne Unterbrechung mit Nichts-Sagen aus dem Studio das Programm zu füllen. Dann war Armstrong draußen. Unglaublich.

Warum können Journalisten, Hobby-Experten und Social-Media-Schreiber nicht einfach mal den Mund halten, wenn sie nichts, aber auch wirklich gar nichts wissen und noch weniger zu sagen haben?

Einen muss man aber loben für die gestrige Kommunikationsleistung. Nein – eigentlich drei: Thomas Winkelmann, Geschäftsführer bei Germanwings, hat unglaublich professionell den richtigen Ton gefunden. Er war so gefasst wie betroffen. Er hat dümmliche Fragen zur Ursachenforschung nett und höflich beantwortet. Er hat Verantwortung übernommen ohne sich klein zu reden. Und ebenso professionell war die Kommunikation und Handlungsweise von Lufthansa und Düsseldorfer Flughafen. Sie alle drei hatten im Vorfeld offenbar ihren Job gut gemacht: sie waren auf Krisen vorbereitet. Weil sie wussten, dass irgendwann und irgendwo alles passieren wird, was passieren kann.

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Schade, dass sich Journalisten offenbar auf Krisen nicht ebenso professionell vorbereiten. Und schade, dass sie offenbar nicht einfach mal ihr Maul halten können, wenn sie nix wissen, weder Antworten, noch kluge Fragen. Das haben sie mit Twitteristi und Facebooklern gemein. Sie setzen die Betroffenheitsmaske auf und machen einfach ihr Geschäft. Als mediale Reiter der Apokalypse. Mir graut.

7 Antworten

  1. Ach und einige unserer Politiker springen auch noch hurtig ins Fettnäpfchen. Das Handelsblatt berichtet:
    „Obwohl noch jede schlüssige Erklärung für die Katastrophe fehlt, preschte [sc. der CDU Bundestagsabgeordnete) Wellmann auf seiner Facebook-Seite mit einer eigenen Ursachenanalyse vor – und schob der Airline die Verantwortung zu: „Vor Germanwings kann man nur noch warnen. Überalterte Maschinen und miserabler Service. Mit denen werde ich nicht mehr fliegen“, schrieb der CDU-Politiker (Anm. d. Red – Aktualisierung 16:20 Uhr: Inzwischen ist das Posting zum Germanwings-Absturz von Wellmanns Facebook-Seite verschwunden).“ Quelle: http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/cdu-politiker-unter-beschuss-empoerung-ueber-boykottaufruf-gegen-germanwings/11554394.html.
    Es ist so peinlich.

  2. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch auf einen sehr schönen Beitrag von Swenn Thissen zum Thema hinweisen: http://bit.ly/swenthissen. Insbesondere sein Hinweis auf die geschmacklosen Tweets des Ösi-Rappers Money Boy passen ins Bild. Wobei es mir ja eigentlich um die nicht so schrägen, sondern um die einfach überflüssigen Statements geht.

  3. Bravo – praktisch vollends aus der Seele gesprochen.

    Was nervt noch? Kein TV-Sender, der momentan nicht irgendeine „Sondersendung“ mit fünf Bildern oder einem Clip in Dauerschleife bringt.

    Garniert mit mindestens drei „Luftfahrtexperten“ und den ewigen dümmlichen Fragen nach den „vermuteten Unglücksursachen“.

    Von Moderatoren ganz zu schweigen, die ernsthaft Leute zu Wort kommen lassen, die ihre Ahnung von der Materie damit unter Beweis stellen, dass sie mal geflogen sind oder sog. Planespotter sind!!

    Ich schäme mich in diesen Tagen, Mensch (in Deutschland) zu sein…

  4. Warum können Journalisten etc. nicht einfach den Mund halten?

    Öhm. Weil sie damit Geld verdienen. Ob nun – wie von dir korrekt geschrieben – Unsensibilität oder was auch immer; es geht vor allem um Einschaltquoten. So lange wie möglich, siehe Ebola.

    BTW einer der Gründe, warum ich mich beruflich in 2-3 Jahren vom Medium Internet soweit verabschieden werde, wie es geht und lieber etwas Analoges lerne (und dann trainiere). Da bleibt dann nur noch etwas Eigenwerbung (nicht wie da oben!) übrig und nicht dieses „muss-auf-jeden-Fall-konsumieren-und-profilieren“

  5. Was man so alles ins E-Mail-Postfach bekommt: ich soll die Petition der Tochter von Udo Jürgens unterstützen, die sich für eine Absetzung der BILD-Kolumne von Franz Josef Wagner einsetzt: https://www.change.org/p/bild-zeitung-absetzung-der-kolumne-post-von-wagner-3. Tatsächlich hat Wagner in alter Manier unsäglich zur Katastrophe herumgelabert und -gewabert: „Liebe Absturz-Opfer … Was alles geschah in diesem Flugzeug – bevor es abstürzte? … Knabberten die Passagiere Nüsse, tranken sie Cola, guckten sie in die Sonne durch das Kabinenfenster? Nervten die Babys, die quengelten?
    Wie war die Stimmung in dem Flugzeug, das in den Tod flog?
    Ich hoffe, sie waren glücklich, bevor sie starben.
    Nette Stewardessen …“ (http://www.bild.de/news/standards/franz-josef-wagner/liebe-absturz-opfer-40289834.bild.html) Wenn man ihn doch mit einer Petition abschaffen könnte. Entwagnert BILD! Ich würde sogar eine Aktion eines Schlagersternchens unterschreiben …

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