Vor meinem Fenster klettert gerade ein Eichhörnchen kopfüber am Baumstamm nach unten, bleibt stehen und schaut sich ängstlich um. Ein anderer würde jetzt vielleicht an Novalis denken („O, Tierchen, das mit Munterkeit vor meines Mädchens Fenster springet …“). Ich denke: Abendessen?
Der „Economist“ hat gerade einen Artikel darüber gebracht, dass immer mehr Briten zu Hörnchenfressern mutieren. Ein gewisser Andrew Thornton wird zitiert, der einen Supermarkt in Crouch End nördlich von London leitet und der seit 2010 Eichkatzerlfleisch verkauft, mit wachsendem Erfolg, wie er sagt. Der Artikel erwähnt übrigens nicht, wo Mr. Thornton seinen Nachschub holt. Wohl nicht im Hyde Park: Dort würde ihm sicher irgendeine rabiate alte Tierschützerin eins mit dem Regenschirm überbraten, wenn er sich an den niedlichen Tierchen vergreifen würde. Aber irgendwer muss sich wohl als Eichhorn-Lieferant betätigen, was angesichts der hohen Arbeitslosenzahlen im Vereinigten Königreich sicher zu begrüßen ist.

Ob eine ähnliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme in Deutschland funktionieren würde, ist hingegen zweifelhaft. Da wären nicht nur die Tierschützer dagegen, sondern auch die Aufsichtsbehörde, denn laut § 1 Abs. 1 Satz 4 des Fleischhygienegesetzes FIHG (sie selbst übrigens Teil des “Gesetzes zur Neuordnung des Lebensmittel- und des Futtermittelrechts” vom 1. September 2005) darf Fleisch von Hunden, Katzen, anderen hundeartigen und katzenartigen Tieren (“Caniden und Feliden”) sowie von Affen nicht zum Genuss für Menschen gewonnen werden. Strenggenommen ist damit aber der Verkauf, beziehungsweise das weidmännische Erlegen solcher Viecher ja nicht verboten. Ich muss mal meinen Freund Fritz fragen, der ist Jäger.

Erwartungsgemäß gibt es in Großbritannien gespaltene Lager in dieser Frage. Die kürzlich gegründete Liga „Save Our Squirrels“ spricht sich nämlich für den Verzehr, allerdings nur von Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) aus. Diese sind um 1870 aus den ehemaligen amerikanischen Kolonien ins Königreich eingeschleppt worden, wo sie seitdem dem einheimischen rötlichen Europäischen Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) den Garaus machen. So ein Grauhornmännchen wiegt gut und gerne 700 Gramm und ist damit fast doppelt so groß wie sein europäischer Verwandter. Mit dem Slogan „eat them to beat them“ (was man vielleicht am besten mit „fresst sie und vergesst sie!“ übersetzen kann) tritt die Liga an, um Lebensraum für echte Euro-Hörner zurück zu gewinnen.

Ich kann nicht genau erkennen, ob mein Baumnachbar ein graues oder ein rötliches Fell trägt, aber ich denke, er wird nicht in meinem Kochtopf landen, obwohl ich nichts gegen einen schmackhaften Kaninchenbraten in Senfsauce habe, und man auch bei denen nie so genau weiß, was das wirklich für ein Tier ist („Kopf ab, Schwanz ab – Has!“). Fragen Sie nur einen Wiener: Bei denen stehen seit der Türkenbelagerung von 1683 bekanntlich auch „Dachhasen“ auf dem Speiseplan.

In meiner amerikanischen Heimat sind Eichhörnchen übrigens schon lange als Delikatesse geschätzt, vor allem in den Südstaaten. Meinem Lieblingsautoren Patrick O’Brian verdanke ich den Hinweis auf den genialen französischen Meisterkoch und Begründer der Grande Cuisine, Jean Anthèlme Brillat-Savarin, der eine zeitlang revolutionshalber in Hartford im US-Bundesstaat Connecticut leben musste und dort gelegentlich auf die Eichhörchenjagd mitging, wie er in seinem 1826 erschienenen Magnum Opus „La Physiologie du Goût“ (deutsch: „Die Physiologie des Geschmacks“) beschreibt.

Auch Czyslansky galt ja als kulinarischer Explorateur. Ob allerdings das untenstehende Rezept für „Eichhörnchen in Madeira“ tatsächlich, wie kolportiert wird, in seiner Bostoner Zeit ensttand, wo er  ihn bekanntlich tagelang auf einer Bank am Boston Common sitzen sah beim Eichhörnchenfüttern (=anlocken?), ist nicht belegbar. Allerdings gibt es auch dort Damen mit Regenschirmen…

Rezept für Eichhörnchen in Madeira

Zutaten für 8 Personen:

4 Eichhörnchen (am besten Grauhörnchen), abgezogen und zerlegt

Mehl

Salz und Pfeffer

4-5 Teelöffel Butter

500 gr Steinchampignons, geviertelt

4 Schalotten, feingehackt

1 Tasse Madeira

2 Tassen Rinderbrühe

1 Esslöffel Petersilie, gehackt

Wälzen Sie die zerlegten Eichhörnchenteile in Mehl, das vorher mit Salz und Pfeffer gewürzt wurde, und legen Sie sie beiseite.

Erhitzen Sie die Butter in einer Kasserolle. Geben Sie die Pilze und Schalotten hinzu und lassen sie unter ständigem Rühren schmoren, bis die Schalotten glasig und die Pilze angebräunt sind. Nehmen Sie die Pilze und Schalotten aus der Kasserolle und stellen Sie sie beiseite.

Braten Sie die Eichhörnchenteile in der Kasserolle von allen Seiten scharf an. Fügen Sie bei Bedarf mehr Butter hinzu. Wenn sie rundherum angebräunt sind, stellen Sie sie beiseite.

Löschen Sie den Bratensatz mit dem Madeira ab und entfetten Sie die so entstandene Sauce. Legen Sie die Eichhörnchenteile, die Pilze und die Schalotten wieder in die Kasserolle und gießen Sie mit Rinderbrühe auf. Stellen Sie die Kasserolle mit geschlossenem Deckel bei 160 Grad in den Backofen und lassen Sie den Inhalt eine Stunde lang simmern. Fügen Sie die Petersilie hinzu und lassen Sie das Gericht weitere 10 Minuten simmern. Wenn die Eichhörnchen zart sind, mit Nudeln oder Kartoffeln servieren.

6 Antworten

  1. Bloß weil das Eichhorn hier in Bayern auch Oachkatzl (genau, das mit dem Schwoaf) heißt, ist es noch lange kein Felide (koa Katzl ned).
    Czyslansky wußte das wahrscheinlich, als geschichtsbewußtem Mensch war ihm wohl auch bekannt, daß die Viecher schon in der Jungsteinzeit gegessen wurden. Oder es handelt sich um eine Abwandlung eines alten Rezepts für die Vettern der Eichhörnchen, der Bilche, zu denen ja auch die Siebenschläfer, die edible dormouse gehören und an denen schon die Römer sich delektierten. Dieses Rezept könnte er bei seinen Reisen nach Slovenien dort aufgeschnappt haben, wo die Siebenschläfer noch heute gegessen werden. In Ihrer Arbeit Dormouse Hunting in Slovenian Traditionschreibt Magda PERŠIÄ über diese Eßkultur:

    In the 19th century dormouse meat was a very important supplement in the nutrition of country people. Dormice were cooked, baked and roasted. They were eaten together with cabbage, carrot, turnip, rice and hard-boiled corn mush (DOLENC, 1921). In the 17th, 18th, 19th and sometimes in the 20th century dormouse meat was also preserved by being salted and put in pots and barrels (HEINKO, 1824). Besides that, until the second world war they smoked dormouse like ham (SUMRADA, 1977). KORDESH (1839) said that the liver of the dormouse is a real delicacy. Today we still find dormouse meat delicious in soups with rice, noodles, dumplings or more traditionally with potato or buckwheat hard-boiled corn mush. Rice is good with young dormice caught in the first week of October (SUMRADA, 1977). Goulash and stew are very tasty. Today, dormouse meat is considered to be a speciality.

  2. Hemmingway des Internet-Zeitalters
    Gehts unseren britischen Freunden wirklich schon so schlecht (oder so unverschämt gut), dass sie die Eichhörnchen bzw. Grauhörnchen aus ihren Parks und Gärten verspeisen müssen? Wenn das der neue Trend ist, dann sollten sich die Protagonisten solcher kulinarischer Eskarpaden weitere Anregungen aus dem „Rattenkönig“ des australischen Erfolgsautors James Clavell holen. Dort ist sehr anschaulich beschrieben, wie delikat das Fleisch von ansonsten verpönten Nagern schmecken kann – wenn man Hunger hat und die unter den Extrembedingungen eines japanischen Kriegsgefangenenlagers möglichen Zubereitungsrezepte kennt.
    Ich kenne und schätze Tim Cole als einen Menschen, der nicht nur publizistisch, sondern auch in Restaurants, Tavernen oder in der eigenen Küche gern an seine Grenzen geht. Noch heute schaudert´s mich bei der Einnnerung an seine auf Czyslansky wunderbar geschriebene Story über den Verzehr eines Affenhirns. Ja, der Tim ist zweifellos der Hemingway des Internet-Zeitalters…
    Zur Sache Ernest, äh Timothy Conners: In Deutschland stehen Eichhörnchen seit 1936 unter Naturschutz, dürfen also nicht bejagt werden. Bei den Germanen galten sie als heiliges Tier des Donnergotes „Donar“, der in den in Eichen wohnte. Kulturhistorisch waren sie aber auch ein Symbol des Teufels, der in dieser Gestalt gerne die Menschen ärgerte
    ( Quelle: http://dammer-berge.de/interessen/kultur/eichhoernchen.html).
    So gesehen könnte die Geschichte einen völlig neuen Dreh bekommen: Britons eat devils.
    Waidmannheil sagt Fritz Bräuninger

  3. Dem globalisierteren Donaldisten auch bekannt als Knabbel en Babbel (Niederlande) bzw. Piff och Puff (Schweden). Unerreicht das Original: Chip ’n‘ Dale.
    Und die sollen in den Kochtopf wandern? Niemals!

  4. Sind Chip&Dale nicht Backenhörnchen? Hier sollen doch nur graue amerikanische Streifenhörnchen verspiesen werden. Unsere Freunde sind demnach nicht in Gefahr (sie haben sogar Donalds Schrotkugeln überstanden).
    Im Übrigen freue ich mich als Hörnchenfreund über Waidmann Fritz‘ prompte Klarstellung hinsichtlich des Naturschutzes, auch wenn diese – soviel zu Teufeln, die zugleich in Hörnchen und Details stecken können – nur die rotbraune Subspezies betrifft.

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