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Ni hau?

Google wird sich wahrscheinlich aus dem China-Geschäft zurückziehen. Offiziell geschieht das aus Protest gegen staatliche Hackerei (es wurde versucht, massenweise GMail Accounts von Regimgegnern zu knacken), aber mehr oder weniger inoffiziell versuchen die Google-Oberen, den Rückzug als Protestgeste gegen Internet-Zensur darzustellen. Manche haben Ihnen dafür Beifall gespendet, darunter unser Czyslansky-Freund Michael Kausch („Google China ist kein rechtsfreier Raum mehr„). Andere, darunter auch ich, haben darin eine ziemlich zynische PR-Aktion erblickt, nach dem Motto: Wenn ohnehin in China nichts mehr zu holen ist, dann lasst uns wenigstens etwas Imagegewinn aus dem Debakel retten.

Der Publizist und Professor an der Georgetown University, Evgeny Morozov, neigt heute in der „New York Times“ auch eher zur zweiten Ansicht, begründet sie aber auf eine sehr interessante Art und Weise, nämlich mit Googles Weltsicht. Da sie nicht nur bei Google weit verbreitet ist, sondern typisch ist für viele Techies , verdient sie es, auch bei uns diskutiert zu werden. Die Czyslanskys sind ja ebenfalls überwiegend Menschen, die sich beruflich oder aus Neigung sehr viel mit Technik beschäftigen und deshalb prinzipiell Dingen wie Digitalität und Computern positiv gegenüber stehen (im Gegensatz etwa zu erklärten Technikfeinden wie Frank Schirrmacher und Konsorten). Grund genug für eine kritische Nabelschau.

Morozov wiederholt zu Beginn seines Essays zunächst ein Zitat von Google-Chef Eric Schmid in einem CNBC-Interview, das ziemlich Furore gemacht hat (und das Schmid vermutlich gerne ungeschehen machen würde…), nämlich: „Wenn du etwas hast, von dem du gerne hättest, dass es niemand weiß, dann hättest du es vielleicht gar nicht erst tun sollen.“ Er hat dafür viel Prügel einstecken müssen von Menschenrechtlern und Datenschützern, die darin die zynische Fratze hinter Googles scheinheiligem Firmenmotto „Dont be evil“ zu erblicken glaubten.

Morozov selbst glaubt nicht an das Böse bei Google. Er hält die Googlianer nur für ziemlich blauäugig. Sie seien halt Techies, schreibt er, und sie glauben an das Gute in der Technik. Sie glauben so sehr daran, dass sie ihr Handeln und ihre Geschäftsstrategie von der Technik leiten lassen – von Tabellenkalkulationen, Computerauswertungen, Data Mining und Knowledge Management.

Der Ausdruck, den Morozov dafür geprägt hat, lautet: „Computational arrogance“. Man kann das kurz als die „Arroganz der Computerei“ übersetzen, aber gemeint ist natürlich eine Geisteshaltung, die besonders unter Entwicklern und Anwendern von Digitaltechnik vorherrscht, nämlich dass die Computer im Grunde schlauer sind als Menschen. Jedenfalls treffen sie Entscheidungen, die emotionsfrei sind und deshalb verlässlicher als das, was  kurzsichtige, triebgesteuerte und deshalb fehleranfällige  Menschen ohne ihre wohlmeinende Unterstützung tun würden. Hardware und Software schlagen „Wetware“, wenn es um Rationalität geht.

„Google ist eine Firma, die von talenierten Computerwissenschftlern und Ingenieuren gegründet wurde, und sie wenden ihre wissenschaftlichen, quantitativ gewichteten Methoden immer an, wenn eine Geschäftsentscheidung ansteht oder sie in Verlegenheit sind. Das reicht von der Digitalisierung von Büchern bis zur Meinungsfreiheit.“

So seien sie bei Google irgendwann zu dem Ergebnis gekommen, dass es besser sei, irgendwelche Bücher online zu veröffentlichen, selbst wenn sie sich dazu schweren Herzens einem mangelhaften und minderwertigen Copyright-Recht unterwerfen müssen, als es nicht zu tun.

Die Entscheidung, nach China zu gehen, sei auf ähnlichen Weg zustande gekommen: Lieber zumindest einige Informationen anbieten, selbst wenn sie minderwertig oder zensiert sind, als keine anzubieten. Das sei genau das Ergebnis, das ein Computer nach rationaler Abwägung aller Faktoren liefern würde. „Gesunder Menschenverstand oder Intuition sind hier nicht wirklich eine Option“, schreibt Morozov: „Googlianer wägen in ihren Bürowürfeln offenbar alle möglichen Vermutungen und Auswüchse sorgfältig ab, egal wie gut sie sind, denn Tabellen lügen nicht.“

Historische Analysen haben seiner Meinung nach in einem solchen Weltbild nichts zu suchen. Wenn wir den Chinesen wenigstens ein paar stark zensierte Infos über Regimegegner im Land geben, ist das besser als gar nichts.

Aus dieser Überlegung heraus hat sich Google in China auf einen Pakt mit dem Teufel eingelassen und hat den chinesischen Behörden ein starkes Mitspracherecht über die von Google in China angebotenen Inhalte gegeben. Und spätestens hier rächt sich  Googles geradezu paranoide Geheimhaltungspolitik, denn wir wissen nicht wirklich, was in der Vereinbarung reingeschrieben wurde, die Eric Schmid mit dem Politbüro geschlossen hat. Hat er vielleicht den Regierungszensoren erlaubt, ihrerseits mittels Data Mining in den Suchergebnissen nach missliebigen Inhalten zu schnüffeln? Gibt es eine Hintertür, durch die staatliche Behörden ins System dürfen und die regierungsnahe Hacker nun genutzt haben, um in die GMail-Konten einzudringen? Google schweigt, wie immer. Und die Verschwörungsszene blüht.

Wenn die Googlianer eben mal schnell von ihren Computerbildschirmen hochgeblickt und zur Kenntnis genommen hätten, dass sie es auf der chinesischen Seite mit skrupellosen Machtpolitikern zu tun haben, wären sie womöglich etwas vorsichtiger gewesen, so Morozov. Aber Google war zu arrogant um zu merken, dass die Zensurbestimmungen und Cyberattaken mit der Zeit nur schlimmer werden können, weil sie ein Teil des chinesischen Systems sind. Und nun werden sie die Geister, die sie riefen, nicht mehr los. Aber Techie lesen offenbar viel zu selten Goethe – was schade ist…

Die These von Morozov hat sicher viele Schwächen, weil sie zum Beispiel unzulässig vereinfacht und alle Techies in einen Topf steckt. Aber als Versuch der Analyse einer weitverbreiteten Geisteshaltung finde ich sie zumindest hilfreich. Denn sie setzt uns Technik-affinen eine peinlichen Spiegel vors Gesicht, in dem jeder von uns vermutlich  einige Details erkennen kann, die auch auf ihn zutreffen.

Was Eric Schmid angeht, so hat Morozov am Ende einen wirklich guten Rat parat. Wenn du etwas hast, von dem du gerne hättest, dass es niemand weiß, dann hättest du es vielleicht gar nicht erst tun sollen. Jemand sollte ihm das mal stecken…

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