Die erste Live-Diskussion der Czyslansky-Gesellschaft zum Thema „digitale Deppen“ im Münchner Presseclub habe ich als ungewöhnlich lebhaft und stellenweise sogar als leidenschaftlich empfunden. Betroffenheit schwebte im Raum (klar, bei dem Durchschnittsalter auf dem Podium und im Saal), aber auch – so habe ich es jedenfalls empfunden – eine gewisse Skepsis gegenüber das, was Thomas Siegner auf seinem Cirquent-Blog als „Technologiefreundlichkeit bei Leuten, die es eigentlich besser wissen müssten“ bezeichnete. Er sieht darin einen Gegensatz zu Frank Schirrmachers bornierter Technikfeindlichkeit, und er hält sie wahrscheinlich für genauso borniert.

Ich kann das in gewisser Weise nachvollziehen, denn auch ich habe etwas gegen das, was man vielleicht als „digitales Gutmenschentum“ bezeichnen könnte, nämlich eine kritiklose Bejahung des technischen Fortschritts ums einer selbst willen. Der Streit um Schirrmachers Thesen trägt ja auch über weite Strecken Züge eines Glaubenskampfs, bei dem bekanntlich immer das vernünftige Menschenmaß als Erstes auf der Strecke bleibt.

Andererseits war gestern für mich ein redliches Bemühen aller Beteiligten herauszuhören, wirklich eine persönliche Antwort auf die Fragen zu finden, die diese Diskussion aufwirft, nämlich in wieweit sind wir Menschen überhaupt selbstbestimmt, welche Rolle spiele externe Kräfte bei unseren Entscheidungsfindungen und ist unser Bewusstsein beliebig manipulierbar? Wenn der Computer uns dumm macht – könnte er uns auch gescheit machen, wenn wir anders mit ihm umgingen? Würde ein Internet-Führerschein irgendetwas ändern, oder wohnt der Netzwerktechnik eine immanente Kraft inne, die uns entmündigt und unserer Geisteskräfte raubt? Das sind keine trivialen Fragen, und ich bin Frank Schirrmacher ausdrücklich dankbar, dass er dazu beigetragen hat, dass ernsthafte Menschen sie ernsthaft stellen, egal was ich über die journalistische Qualität seiner eigenen Bemühungen in dieser Richtung denke.

Besonders deutlich habe ich das an der Stelle gespürt, wo ein Teilnehmer mich in die Enge zu treiben versuchte mit der Frage, ob ich mit meiner evolutorischen Erklärung – der Mensch passt sich, seit es ihn gibt, einer sich ständig verändernden kommunikativen Umgebung an – nicht selbst ins gleiche mechanistische und damit menschenverachtende Horn stoßen würde wie Schirrmacher selbst, nur sozusagen vom anderen Ende her (was technisch etwas schwierig wäre, aber vielleicht machbar…).

Und ich ertappte mich dabei, wie ich zögerte, denn er hat ja Recht: Wir denken zwar gerne, dass die Gedanken frei sind, aber in Wahrheit reagieren wir ja immer auf Zwänge, die von außen auf uns einstürmen, wie ein angeschlagener Boxer, der seinen Gegner nur noch schemenhaft erkennt und sich trotzdem zu wehren versucht. Womit wir mittendrin sind in der existenzialistischen Debatte über Individualismus, Determinismus, Selbstbestimmung und Freiheit. Ich denke, also bin ich – oder denke ich nur, dass ich denke, und was bin ich dann?

Ich glaube nicht, dass wir damit sehr viel weiter kommen. Auch Schirrmacher verlässt sich ja nicht auf seine Frankfurter Schule, sondern begründet seine Angst vor dem Internet mit konkreten, vermutlich also irgendwie messbaren Veränderungen im menschlichen Gehirn, digitale Degenerationserscheinungen, sozusagen.

Womit er geschickt ganz im Sinne von Schopenhauers eristischer Dialektik zwischen Geistes- und Naturwissenschaften changiert und im Grunde nirgendwo richtig zu packen ist. Seine Thesen sind nicht ad rem widerlegbar, weil wir die Natur der Dinge, die er schreibt, nicht mit wirklicher Objektivität als wahr erkennen können. Er tut so, als würde er mit Hilfe zahlreicher Beispiele, Studien, Zitate und Erlebnisse vom Allgemeinen zum Besonderen argumentieren – klassische Deduktion, also. Das kann er umso ungenierter, als er durch die schiere Fülle der Scheinbeweise mehr oder weniger unangreifbar wird, es sei denn, man will sich wirklich auf die Ebene von „falsus in unum, falsus in omnibus“ herab begeben, wonach die Falschschreibung „Tweed“ auf der ersten Seite (die übrigens in der eilig nachgeschobenen zweiten Auflage bereits korrigiert wurde!) genügt, um das ganze Buch zu desavourieren.

In Wirklichkeit arbeitet er induktiv, also anders herum: Vom seinem eigenen besonderen Fall („Mein Kopf kommt nicht mehr mit“) zum Allgemeinen. Man kann ihn also nur durch das Belegen von einzelnen Widersprüchen zu beobachtbaren Tatsachen ab absurdum führen, was langwierig und auch ziemlich müßig ist, denn bei jedem einzelnen Punkt geht die Diskussion ja wieder von vorne los: Hat er Recht, weil er das so sieht, oder sieht er das so, weil er unrecht hat?

Das ist ja genau das Populistische, das den Boulevardphilosophen Schirrmacher so schlüpfrig macht und mich so ärgert. Aber ich erkenne auch die Gefahr, die darin steckt, dass man als Betroffener mit den gleichen Mitteln zurückschlägt. Sollte ich das von Zeit zu Zeit getan haben oder in Zukunft wieder tun, entschuldige ich mich gleich vorauseilend dafür. Zum Glück war das bei unserer Czyslansky-Runde nicht so, jedenfalls meistens. Und das ist es, was ich an dem Abend (genauer: späten Nachmittag) im Münchner Presseclub auch als so angenehm empfunden habe. Wir haben sicher keine endgültigen Antworten gefunden, aber wir haben zumindest die richtigen Fragen gestellt. Diese Diskussion will ich gerne weiter führen.

2 Antworten

  1. @weissgarnix: Warum zerbrechen wir uns alle Schirrmachers Kopf mit dem Versuch, seine Thesen auf Normalniveau zu reduzieren? Das hat er selbst getan, ganz ohne Feuilletonistendeutsch im „BILD“-Interview: „Das [Multitasking] führt zu einer Vermanschung des Hirns.“

    Und das sollen wir ernst nehmen? Also bitte…

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