Dieses Manuskript ist eine gekürzte Version eines Vortrags, der auf einer Veranstaltung der SPD im bayerischen Tittmoning am 16. Januar 2020 gehalten wurde.

 

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Das „böse“ Märchen

Es ist Märchenstunde in Deutschland!

Wir schreiben Donnerstag, den 2. Mai 2040. In den Fabriken arbeiten fast nur noch Roboter, angeleitet von automatisierten Steuerungssystemen, die auf künstlicher Intelligenz – auf „KI“ – basieren. In der Logistik dominieren autonom fahrende und zentral gesteuerte lustig-bunte Transportsysteme. Nur in ausgewählten Lenkungs-, Verwaltungs- und Dienstleistungsfunktionen werden noch menschliche Arbeitskräfte in nennenswerter Anzahl benötigt.
Einige wenige von diesen lebendigen Menschen arbeiten vor Ort in diversen Pflege- und Service-Einrichtungen, zum Beispiel in Kliniken und in Seniorenheimen der Arbeiterwohlfahrt. Sie tun dies Hand in Hand mit sympathisch-freundlichen Service-Robotern und -Roboterinnen.

Die meisten dieser Menschen sind als mobile vernetzte Eigenunternehmer unterwegs: als Ich-AGs, zum Beispiel als Arzt in Fern-Diagnose-Systemen, als Journalist, als Beraterin, als IT-Entwickler und Projektmanagerin.

Automatisierte Online-Systeme vermitteln hier ihre Arbeitskraft stunden-, tage- oder wochenweise ganz nach dem wechselnden Bedarf der Wirtschaft. Häufig wird kostenlos gearbeitet, um durch unbezahlte Jobs Kontakte in den viel gerühmten pseudosozialen Netzwerken Facebook, Twitter oder Instagram zu pflegen. Ohne diese Netzwerke kommt man nämlich kaum mehr an einen der wenigen schlecht bezahlten Aufträge heran.

Man konkurriert einerseits – und immer häufiger – gegen automatisierte Systeme, also gegen sogenannte „Bots“, die auf künstlicher Intelligenz beruhen und rund um die Uhr an allen Tagen verfügbar sind und andererseits – und immer seltener – gegen menschliche Online-Dienstleister aus Niedriglohnländern, aus Polen, Rumänien oder Indien.

Letztere hatten vorübergehend in den zwanziger Jahren – also zwischen 2020 und 2029 – Aufgaben im technischen Support, im Online-Vertrieb oder in der Buchhaltung von ihren deutschen Kolleginnen und Kollegen übernommen, ehe sie selbst Zug um Zug von KI-Systemen ersetzt wurden.

Im 3D-Fernsehen wurde gestern Abend – also am 1. Mai 2040 – erregt über den aktuellen Trend zum „Egg Freezing“ diskutiert.
Egg Freezing, das wurde so um 2019 herum in den USA entwickelt. Da lassen junge Frauen Eizellen einfrieren und wenn sie dann mal 40 oder 50 Jahre alt sind befruchten, so dass sie in reiferem Alter dann noch Mutter werden.

Ja, in der Tat leisten es sich heute, also im Jahr 2040, immer weniger Frauen in jungen Jahren schwanger zu werden. Eine Frau, die einmal ein paar Jahre „aus dem Geschäft“ ist, verliert als Eigenunternehmerin schnell ihren Marktwert und ihre gesellschaftlichen Kontakte. Eine gerechte Teilung von Erwerbsarbeit und Erziehung zwischen Mann und Frau wird durch die extreme Individualisierung und räumliche Mobilisierung schon seit Jahren zunehmend erschwert. Die Frauen leiden wieder einmal mehr unter den aktuellen gesellschaftlichen und technologischen Veränderungen.

Auch werden gesetzliche Mindeststandards für Arbeit und Leben immer schwieriger politisch durchsetzbar. Dies liegt natürlich auch an der zunehmenden Individualisierung und am geringen gewerkschaftlichen Organisationsgrad der vielen Eigenunternehmer. Das war ja schon zu Beginn des dritten Jahrtausends so, dass die jungen Selbstständigen und Internet-Unternehmer kaum mehr gewerkschaftlich organisiert waren.

Wenig überraschend also wurde gestern, am ersten Mai 2040, der noch immer ein gesetzlicher Feiertag ist, eigentlich fast überall ganz normal gearbeitet. Nur ein paar grau- bis nichthaarige Ewiggestrige trafen sich in dunklen Hinterzimmern billiger Altstadtkaschemen um dort sogenannte Ortsvereinsversammlungen einer sozialdemokratischen Partei abzuhalten, die bei der letzten Bundestagswahl erstmals nicht mehr die erforderlichen fünf Prozent Wähler- und Wählerinnenstimmen erreicht hat. Ein Fliegenschiss der Geschichte in Zeiten der großen schwarzgrünen Koalition.

So könnte es kommen. Gruselig, aber durchaus realistisch. Freilich könnte die Zukunft auch ganz anders aussehen. Deshalb gibt es ein alternatives Märchen für die Optimisten unter uns.

Kommen wir also zum Märchen 2.0:

Das „gute“ Märchen

Wir schreiben wieder Donnerstag, den 2. Mai 2040. Der erste Bundeskanzler, der den Vornamen Kevin trägt, hat am Vortag in seiner Rede auf der zentralen Mai-Kundgebung des DGB in Bremen darauf verwiesen, dass die Einführung der 30-Stunden-Woche nur der erste Schritt war auf dem Weg einer sozialdemokratischen Gestaltung der Auswirkungen von Industrie 4.0 und Digitalisierung.
Die rotrotgrüne Bundesregierung, die sich auf Grundlage des erfolgreichen „Bremer Modells“ vor wenigen Jahren etabliert hat, sei auf dem besten Weg die alte Forderung von Willy Brandt „Wir wollen mehr Demokratie wagen“ mit Hilfe der Errungenschaften der Digitalisierung durchzusetzen:

Im Mai 2040 hat sich tatsächlich bewahrheitet, was die OECD der Welt und Deutschland schon im Jahr 2018 prophezeit hatte:
In ihren Mitgliedsländern wurden 14 Prozent der damals vorhandenen Arbeitsplätze durch die Digitalisierung vernichtet, in Deutschland auf Grund der großen Bedeutung des produzierenden Gewerbes sogar mehr als 18 Prozent. Es gab also einen Arbeitsplatzabbau auf breiter Front. Die Digitalisierung hat nach 2018 in Deutschland jeden fünften Arbeitsplatz vernichtet.

Gut so!

Es sind natürlich auch neue Jobs entstanden. Und die vorhandene Arbeit wurde auf alle verteilt.

Deutschland hat auf etwas reagiert, was die OECD 2018 noch bitter beklagte: dass in keinem anderen Mitgliedsland weniger weitergebildet wurde, als eben in Deutschland.

Nur ein Viertel der betroffenen Erwachsenen wurde damals – im Jahr 2018 – durch entsprechende Weiterbildungsangebote geschult. Bei den hochqualifizierten Erwachsenen hingegen war Deutschland mit einer Weiterbildungsquote von rund 75 Prozent Spitzenreiter unter den OECD-Staaten.

Die deutsche Gesellschaft drohte deshalb nach 2018 auseinander zu fallen: Einige wenige gut Qualifizierte wurden gut geschult, viele gering qualifizierte wurden gar nicht auf die Digitalisierung vorbereitet. Sie drohten von der technologischen Entwicklung abgekoppelt zu werden. Die OECD hat 2018 vor ihrer Verelendung deutlich gewarnt.

Die rotrotgrüne Bundesregierung hat hier durch eine breit angelegte Bildungsoffensive, durch regulierende Eingriffe in die Wirtschaft und durch geeignete politische Rahmenbedingungen dafür gesorgt, dass Arbeit umverteilt wurde und dass Strukturen gerechter wurden.

Sie merken: ich bin noch immer im Traum- und Märchenmodus.
Wie von der OECD vorausgesagt war innerhalb weniger Jahre jeder dritte Arbeitsplatz in Deutschland von der Digitalisierung grundlegend verändert worden. Aber die Politik hat diese Digitalisierung aktiv gestaltet.

Soweit die beiden Märchen, eines für die Pessimisten, eines für die Optimisten, die darauf setzen, dass wir die Digitalisierung aktiv gestalten können – weil wir sie aktiv gestalten müssen!

Es kommt darauf an, was man draus macht. Und wer es macht. Die Technik alleine wird es nicht richten. Maschinenstürmerei auch nicht. Ich halte es da mit Antonio Gramsci, der von sich einmal so schön behauptete, er sei ein Optimist der Tat und ein Pessimist der Intelligenz. Man solle immer mit dem Schlimmsten rechnen, aber stets mit aller Kraft das Beste versuchen.

Wie also können wir diese Digitalisierung gestalten?

Ein festes Programm dafür gibt es noch nicht. Aber ich will heute einige Eckpunkte für eine soziale und demokratische Technologiepolitik der 20iger Jahre des 21. Jahrhunderts grob skizzieren und zur Diskussion stellen.

Ich will kein theoretisches Grundsatzreferat halten und auch keinen wirtschaftswissenschaftlichen Vortrag, sondern in sieben Punkten und einer Schlussbemerkung einige Perspektiven einer sozial gerechten und demokratisch verbindlichen Politik aufzeigen.

1. Wir brauchen ein Programm zur Zukunft der Arbeit

Natürlich müssen wir dem Willen vieler Menschen Folge leisten, die flexibler arbeiten wollen. Deshalb ist die Forderung nach einem Recht auf Heimarbeit, richtig und wegweisend. Aber niemand darf zu Home Office oder zum mobilen Arbeiten gegen seinen Willen gezwungen werden.

Nach einem Bericht von Arbeitsminister Heil dürfen heute rund 12 Prozent der Beschäftigten zumindest teilweise auch zuhause arbeiten. Ein Drittel aller Beschäftigen, die bislang nicht zuhause arbeiten dürfen würden aber gerne gelegentlich zuhause arbeiten. Diese sollen ein Recht auf Homeoffice erhalten.

Für ein Recht auf Home Office

Das ist gut so. Weil:

Homeoffices haben aber auch Risiken:

Sicher ist: Die Einführung von Homeoffice-Arbeitsplätzen erfordert weitreichende Informations-, Weiterbildungs-, Mitgestaltungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Nicht umsonst sind Mitarbeiter heute eher skeptisch bei der Einführung der Digitalisierung. Dies zeigen fast alle Studien zu den Einführungsprozessen.

Nur in 17 Prozent der Unternehmen geht die Initiative bei der Einführung neuer digitaler Technologien und Prozesse heute von Mitarbeitern aus. In 56 Prozent aller Fälle sind die Mitarbeiter eher Verhinderer und Bremser. Das hat schon seinen Grund.

Aber wir reden schon wieder über potentielle Digitalisierungsgewinner. Denn tatsächlich werden die meisten der unmittelbar von der Digitalisierung betroffenen Arbeitnehmer, so ihr Arbeitsplatz nicht wegrationalisiert wird, eher eine Höherqualifizierung erleben.

Aber über den Traum von der schönen neuen Arbeitswelt und den selbstbestimmten tollen digitalen Arbeitsplätzen dürfen wir die anderen Arbeitsplätze nicht vergessen. Der Traum vom digitalen Spezialisten ist toll, aber es wird auch künftig Menschen in unserem Land geben, die kein Abitur machen und die sich nicht in hochkomplexe neue Tätigkeiten umschulen lassen wollen. Einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung zufolge sind Abstiegsängste bis weit in die Mittelschicht verbreitet: 80 Prozent der Geringverdiener sorgen sich um ihren Lebensstandard. Wir müssen das Recht auf Arbeit erst recht in Zeiten einer zunehmenden Flexibilisierung von Arbeit durchsetzen.

Wir benötigen auch künftig technisch einfach strukturierte Arbeitsplätze. Und diese Menschen können nicht alle Frisöre werden. So viele Frisuren haben wir nicht.

Wer über die Zukunft der Arbeit redet, der darf nicht nur über digitale Arbeitsplätze reden.

Wer die Digitalisierung fördert oder auch nur akzeptiert, der muss dafür sorgen, dass wir genügend manuelle Arbeit auch in Zukunft in Deutschland haben werden. Und man muss von dieser Arbeit leben können.

Also braucht es Mindestlöhne – natürlich auf europäischer Ebene – und Investitionen in den öffentlichen Sektor: Krankenpfleger und Straßenarbeiter sind nicht so einfach digital zu ersetzen und im öffentlichen Dienst können wir verhindern, dass sie von Robotern ersetzt werden.

Nicht die akademische Laufbahn für Krankenpfleger ist wichtig, sondern eine gute Bezahlung für diesen heute schon anspruchsvollen Job. Wir brauchen einen starken öffentlichen Dienst für gut bezahlte Arbeit außerhalb der Digitalisierung.

Die Technologieexperten erklären uns, dass gerade auch in der Pflege Arbeit künftig produktiver von Robotern erledigt werden kann. Unabhängig davon, wie schnell dieser Prozess Wirklichkeit werden wird. Mag ja sein, dass unsere Senioren künftig von Robotern gestreichelt werden. Das klingt jetzt hart: aber vermutlich wäre das den Alten sogar recht und aus Sicht der Alten wäre das sogar ok. Aber es wäre nicht ok aus Sicht der Jungen.

Heute haben wir einen Mangel an jungen Pflegerinnen und Pflegern und wir holen uns dieses Personal aus Polen und Afrika auf Kosten der dortigen Sozialsysteme. Auf Dauer ist das natürlich auch keine Lösung.

Und ich sage Ihnen: wir werden in einigen Jahren einen Mangel an Arbeitsplätzen für Menschen haben, die nicht studieren wollen. Einen Mangel an einfachen Arbeitsplätzen. Deshalb brauchen wir anspruchsvolle und gut bezahlte Arbeitsplätze für Nicht-Studierte.

Die Akademisierung der Pflege führt da in die falsche Richtung.
Klartext: wir brauchen einen starken Staat auch weil wir nur in einem starken öffentlichen Sektor Arbeitsplätze garantieren können, die die freie Marktwirtschaft durch Roboter preiswert ersetzen würde. Wir müssen uns Ineffizienz aus sozialen Gründen leisten wollen.

Das bringt mich zum zweiten Punkt:

2. Wir brauchen ein Programm zur sozialen Gerechtigkeit, Sicherheit und Gleichheit

Natürlich ist es richtig, wenn die SPD heute eine soziale Sicherung von Freiberuflern fordert, also deren Einbeziehung in das Arbeitslosen- und Rentenversicherungssystem. Wir haben drei Millionen Selbstständige in Deutschland, die im Alter nicht abgesichert sind. Da droht uns in wenigen Jahren eine gewaltige Lawine an Sozialfällen zu begraben. Diese Forderung nach einem einheitlichen Sozialsystem, einer einheitlichen Kranken- und Arbeitslosenversicherung, wird immer dringlicher, weil der Anteil der Freiberufler durch die Digitalisierung zunehmen wird.

Das bedingungslose Grundeinkommen führt in die Irre

Das viel diskutierte bedingungslose Grundeinkommen ist keine geeignete Lösung des Problems. Das bedingungslose Grundeinkommen bedeutet eine Legitimierung der Entkopplung der Erwerbsarbeit von der Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.

Die Sozialdemokraten haben seit eineinhalb Jahrhunderten gegen diese Entkopplung gekämpft. Stattdessen war es immer eine sozialdemokratische Forderung die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums an die Produktion des Reichtums anzukoppeln. Die SPD doch, dass zum Beispiel Erziehungsarbeit anerkannt und gerecht entlohnt wird.

Ich will zum Beispiel, dass bei Ehepartnern endlich die während der Ehe erworbenen Rentenansprüche gleichmäßig auf die Ehepartner aufgeteilt werden, damit die häufig materiell schlechter gestellten Frauen nicht auch noch im Alter in Armut fallen.

Soziale Arbeit verrechtlichen

Wir sollten soziale Arbeit endlich verrechtlichen und damit anerkennen und sozial absichern. Das Modell der nachbarschaftlichen Subsidiarität ist doch längst am Ende. Wir sehen doch in den Kommunen, dass immer mehr soziale Aufgaben eigentlich von Nachbarschaftshilfen wahrgenommen werden müssen, weil den Kommunen das Geld ausgeht, dass aber andererseits den nachbarschaftlichen Initiativen die Freiwilligen abhanden kommen, einfach weil sich die Lebenssituationen der Menschen in den letzten Jahren verändert haben.

Die Verrechtlichung sozialer Arbeit ist überfällig und die alternativ in letzter Zeit wieder verstärkt geforderte Einführung sozialer Pflichtjahre oder sozialer Arbeitsdienste ist letztlich nichts als der verzweifelte Versuch soziale Löcher notdürftig mit billigen Aushilfen zu stopfen.

Was wir in vielen Gemeinden heute dringend brauchen sind soziale Netzwerkmanager bei den Gemeinden und Landkreisen, die sich hauptberuflich um die Vernetzung und Unterstützung der Ehrenämter, der Bürgerinitiativen und -engagements kümmern. Da gibt es einige vielversprechende Beispiele in Bayern, die man sich zum Vorbild nehmen kann. Das kostet ein bisschen Geld, aber das ist gut angelegt.

Ich will eine vernünftige nicht-produktive Erbschaftssteuer und eine gerechte Vermögenssteuer. Ich will vernünftige Mindestlöhne und öffentlich geförderte Weiterbildungsmodelle.
Dafür benötigen wir das Geld, das bei einem bedingungslosen Grundeinkommen in die Taschen des reichen Erben wandern würde.

Das kann nicht das Ziel einer Partei sein, die sich als Partei der Arbeit versteht.

Das Problem der Minijobber

Noch ein Punkt zur wachsenden Zahl der geringfügig Beschäftigten. Deren Zahl wird weiter wachsen mit der Digitalisierung, jedenfalls wenn wir nichts dagegen unternehmen.

Heute gibt es mehr als sieben Millionen geringfügig Beschäftigte in Deutschland. Sie zahlen keine Steuern und kaum oder keine Sozialabgaben. Nur jeder fünfte zahlt in die Rentenversicherung ein: der direkte Weg in die Altersarmut. Jeder zweite Minijobber erhält keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, jeder Dritte keinen bezahlten Urlaub.

Ursprünglich sollten die Minijobs einmal einen Wechsel in reguläre Arbeitsverhältnisse erleichtern Diese Funktion erfüllen diese Jobs heute jedenfalls nicht mehr. Ob sie diese Aufgabe zu Zeiten von Franz Müntefering wirklich erfüllt haben will ich jetzt gar nicht diskutieren.

Heute macht fast die Hälfte der Minijobber den Job „nebenbei“, weil der Hauptjob zu wenig abwirft. Künftig wird die Zahl der Minijobber weiter wachsen weil die Struktur der Minijobs ideal den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt entspricht: hochgradig flexibel, ständig im Wandel. Dies wird so kommen, und unsere Sozialsysteme werden darunter leiden, wenn wir daran nichts ändern.

Wir brauchen gute reguläre Arbeit, keine Minijobs.

3. Wir brauchen ein Programm zur Zukunft der Bildung

Es ist auch gut, wenn wir mehr Mittel in die Digitalisierung der Infrastruktur stecken und in die Modernisierung des Bildungswesens.

Aber Tablet-Computer im Schulranzen allein erhöhen nicht nachhaltig die Kompetenz der jungen Menschen im Umgang mit digitalen Werkzeugen und Systemen. Bis sie ausgelernt haben sind ihre Computer schon längst Vergangenheit.

Im digitalen Zeitalter ist die Vermittlung sozialer Grundkompetenzen wichtiger denn je. Wir brauchen vor allem mehr und gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer. In Schulen, in denen es nicht durch die Decke tropft und in denen wenigstens die Toiletten funktionieren. Wir brauchen nachhaltige Investitionen in unsere Infrastruktur des Wissens. Dies wird bei einer Fixierung auf die berühmte schwarze Null in unseren Haushalten aber nicht zu schaffen sein.

Mehr Investionen

Und damit sind wir bei der Frage: Brauchen wir mehr Mittel für Investitionen, oder müssen wir Investitionshemmnisse abbauen.
Es stimmt schon: Heute werden Investitionsmittel häufig nicht abgerufen. Aber warum ist das denn so? Wenn der Bund zum Beispiel 100 Millionen Euro für die Sanierung von Schulen zur Verfügung stellt und dann eine Kommune 50 Prozent der Baukosten bezuschusst, dann kann das Loch in der Turnhalle nicht gestopft werden, da Wanne-Eickel einfach die eigene Hälfte der Baukosten nicht aufbringen kann. In vielen Kommunen fehlt schon das Geld um überhaupt die Planung für die Investition bezahlen zu können. Im reichen Ingolstadt aber hat die Turnhalle nun mal kein Loch. Und hätte sie ein Loch, würde man dort vermutlich keine Mitarbeiter für das bauamt finden, weil der Arbeitsmarkt einfach keine qualifizierte Mitarbeiter kurzfristig für die über Jahrzehnte kaputtgesparte öffentliche Verwaltung bereithält. Im hochverschuldeten Bremen wiederum kann man sich Investitionen nicht leisten, bei der der Bund zwar die Kosten übernimmt, eventuelle Folgekosten aber von Bremen getragen werden müssten.

Kurz: Wir werden wohl drei Dinge brauchen:

Betriebsnahe Weiterbildung

Wir brauchen nicht mehr Wirtschaftsinformatiker, sondern eine ständige Weiterbildung, die sich am betrieblichen Bedarf orientiert!
Schließlich müssen wir sehr darauf achten, dass unsere Weiterbildungskonzepte nicht zu Alibikonzepten verkommen, die Arbeitslose „von der Straße“ und aus den Statistiken holen und in denen die Menschen zwar etwas lernen, aber nichts was sie für die Herausforderungen des Arbeitsmarktes sinnvoll qualifiziert.

Im Bereich der Aus- und Weiterbildung sollten wir sehr darauf achten, dass wir zu einer engeren Kooperation zwischen Wirtschaft und Staat finden. Hier plädiere ich tatsächlich für ein System einer weitgehenden staatlichen Unterstützung betrieblicher Umschulungsmaßnahmen, möglicherweise über ein überbetriebliches Umlagesystem finanziert. Wenn Unternehmen – v.a. mittelständische Unternehmen – bereit sind ihre Mitarbeiter für die Anforderungen der Digitalisierung fit zu machen, dann soll die gefördert werden. Aus einem Topf, der aus Abgaben der Unternehmen – aus Steuern – gefüllt wird.

4. Wir brauchen ein Programm zur Zukunft der Regionen

Der immer wieder geforderte und geförderte Breitbandausbau ist gut und schön, aber er muss zu einer Angleichung der Lebensverhältnisse in allen Regionen Deutschlands führen, zu einem Ausgleich zwischen Stadt und Land. Die Digitalisierung bietet die Chance auf hochqualifizierte Arbeitsplätze in Husum und Tittmoning. Aber wenn wir zulassen, dass sich die großen Unternehmen immer noch auf die völlig überlastete Metropolregion München ausrichten verpassen wir die Chance der Digitalisierung.

Also benötigen wir eine kluge Regionalförderung und offen gestanden passt eine Fokussierung auf Exzellenzuniversitäten in München nicht in eine solche Strategie.

Noch etwas: warum akzeptieren wir es eigentlich, dass Konzerne ein gutes Geschäft machen mit der Verkabelung der Städte und die öffentliche Hand dann das flache Land verkabeln soll? Gehört nicht der Ausbau der Infrastruktur grundsätzlich in öffentliche Hand? Ich meine schon!

5. Wir brauchen ein Programm zur Zukunft des Arbeitsrechts

Unser Arbeitsrecht ist auf die Digitalisierung und die Herausforderungen für Mitbestimmung und Arbeitsschutz überhaupt nicht vorbereitet.

Ein Beispiel:

Bei Deliveroo in Köln wurden Fahrradkuriere entlassen, weil sie einen Betriebsrat gründen wollten. Da zeigte sich plötzlich ein Problem: das Betriebsverfassungsgesetz sieht derzeit zur Gründung eines Betriebsrats vor, dass es einen physischen Betriebsort gibt.

Der Betriebsort der Fahrradkuriere war aber ein Algorithmus. Das Beispiel zeigt: Wir müssen Arbeitnehmerrechte in der Digitalisierung erneuern.

Zahlreiche andere Vorgaben zur Arbeitsplatzverordnung sind ebenfalls nicht auf die Auswirkungen der Digitalisierung vorbereitet:

Ich will Euch ein Beispiel aus der Lighting-Industrie berichten. Es gibt konkrete Vorgaben zur gesunden Beleuchtung an Büroarbeitsplätzen. Wer aber kontrolliert schon das Licht am Schreibtisch zuhause? Richtig: niemand. Es sei denn … es gäbe eine intelligente Lampe mit Internet-Anschluss. Die gibt es natürlich. Mit Anschluss an die PC-Kamera. Die ist natürlich total arbeitnehmerfreundlich: Guckt der Arbeitnehmer auf den Bildschirm, gibt es abgedimmtes Licht für die Bildschirmarbeit, guckt er auf die Schreibtischplatte wird die Schreibtischplatte beleuchtet, guckt er – nein SIE – zum Kind nebenan, geht die Lampe auf Sparschaltung, der Umwelt zu liebe. Da klappt es dann auch mit der Zeiterfassung. Und nicht nur mit der Zeiterfassung … Und die Frage steht im Raum: Wem gehören die Daten? Wie kann ich diese Daten vermarkten? Und wer kann diese Daten vermarkten?

Ein weites Feld. Und nein: ich habe auf viele Fragen keine fertigen Lösungen. Aber gut: Wir müssen hier bei in Tittmoning auch keine Lösungen erarbeiten. Aber wir müssen die Probleme sehen.

6. Wir brauchen ein Programm zur Zukunft einer demokratischen Wirtschaft

Natürlich benötigen wir eine globale Mindestbesteuerung digitaler Unternehmen auf europäischer Ebene. Aber das reicht nicht als Programm. Was spricht eigentlich gegen ein eigenständiges EU-Kartellamt, das als Digitalaufsicht die Marktmacht der großen Digitalkonzerne beschränkt und sie – gegebenenfalls auch ohne Nachweis eines Machtmissbrauchs – aufspalten kann. Dies ist eine Forderung der Grünen auf europäischer Ebene. Und sie ist sinnvoll.

Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament diskutiert derzeit, dass Digitalunternehmen, die einen festgelegten Marktanteil für eine bestimmte Zeit überschreiten, einen anonymisierten und repräsentativen Teil ihres Datenbestands veröffentlichen müssen. Dieser kann dann auch von Wettbewerbern genutzt werden. Gut so. Es geht um die Beschränkung der Macht der neuen Monopole.

Vielleicht müssen wir auch neue Formen von Online-Genossenschaften aktiv fördern. Andrea Nahles hat vor einigen Monaten gefragt: „Warum schließen sich Restaurants und Gastronomiebetriebe nicht einfach selbst zusammen und gründen ihr eigenes ‚Foodora‘? Warum überlassen sie diesen Service einem renditegetriebenen Tech-Unternehmen, das selbst keine einzige Mahlzeit kocht?“

Das war eine sehr gute Frage, die wir mal beantworten sollten. Welche digitalen Start-Ups braucht Ihr denn in Eurer Region, damit die Kaufkraft und die Innovationskraft hier vor Ort bleibt in Zeiten der Digitalisierung? Können wir uns denn mit anderen Regionen vernetzen und Innovationen „von unten“ gestalten?

Und wenn wir das mal nicht von der Region aus denken: Denken wir die digitalen Alternativen mal von der Bürgerschaft aus? Was wollen wir denn als kritische demokratische und auf Gerechtigkeit und Partizipation ausgerichtete Bürgerinnen und Bürger für uns an neuen digitalen Modellen erobern? Jenseits von Pizzadienst und Parship?

Beim digitalen und gläsernen Rathaus können wir ja anfangen mit dem Träumen. Was uns zum siebten Punkt bringt:

7. Wir brauchen ein Programm zur Stärkung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Bürgerinnen und Bürger

Der erste Schritt in vielen Gemeinden ist die Durchsetzung einer „Informationsfreiheitssatzung“. Das Informationsfreiheitsgesetz gewährt auf Bundesebene jeder Person einen voraussetzungslosen Rechtsanspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen von Bundesbehörden. Eine Begründung durch Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder sonstiger Art ist nicht erforderlich. In elf Bundesländern gilt dieses Gesetz entsprechend auch auf Landesebene – nicht jedoch in Bayern. Kommunen können aber entsprechende Regelungen in einer „Informationsfreiheitssatzung“ beschließen. Sie sollten dies tun.

Schlussbemerkung

Die Digitalisierung hat am Grundprinzip unserer Gesellschaft nichts geändert.

Die Digitalisierung ist sowenig das Problem, wie es vor zweihundert Jahren die Dampfmaschinen waren.
Es geht um Machtfragen: wer bestimmt was gemacht wird in Politik, Wirtschaft und Internet? Und warum ist das so?

Die wirkliche Gefahr ist das Entstehen von internationalen Großmächten, die sich jeglicher politischer Kontrolle entziehen. Gegen die neuen Großmächte sind die Konzerne, mit denen wir es in der Vergangenheit zu tun hatten, Spielzeugfiguren: die United Fruit Company, Coca Cola, Rockefeller. Wie albern.

Google, Amazon, Alibaba – das sind die Weltkonzerne der Zukunft.
Sie beherrschen die Daten, Adressen, Bewegungsdaten, Kaufdaten, Bezahldaten. Und zwar über die Plattformen, über die Prozesse abgewickelt, übertragen und gespeichert werden.

Letztlich droht am Horizont das Social Credit Scoring, die Verschmelzung aus chinesischem Totalitarismus und wirtschaftsliberaler deutscher Allianz-Fürsorge: je transparenter der Bürger, desto individueller die Daseinsfürsorge, desto individueller der Lebensversicherungsschutz, desto schwächer der Gemeinschaftsgedanke.

Je weniger Datenschutz, desto mehr Schufa, desto wirtschaftsliberaler, je weniger FDP, desto mehr FDP.

Damit ist auch klar, welche Partei die Digitalisierung nicht überleben wird. Wirtschaftsliberalismus und rechtsstaatlicher Liberalismus sind im digitalen Kapitalismus nicht länger miteinander zu vereinbaren.

Machen wir uns nichts vor: die Digitalisierung, das Internet der Dinge, die Industrie 4.0, das alles wird nicht nur kommen, das ist schon da. Der Frankfurter KI-Experte Chris Boos hat das lakonisch mit folgendem Spruch erklärt: „Wir haben 200 Jahre lang Menschen beigebracht, wie Maschinen zu arbeiten. Und nun wundern wir uns, dass Maschinen es besser können.“

Aber wie geht die SPD damit um? Die Bertelsmann-Studie Populäre Wahlen hat ermittelt, dass 56 Prozent der SPD-Wähler und -Wählerinnen zu den Fortschrittsoptimisten gehören, 44 Prozent hingegen sind eher pessimistisch gestimmt. Ich halte es – ich sagte es schon – mit Antonio Gramsci: „Wir müssen Pessimisten der Intelligenz und zugleich Optimisten der Tat sein, also mit dem Schlimmsten rechnen und das Beste jederzeit anstreben“. Dies gilt auch und erst recht bei einer sozialdemokratischen Perspektive auf die Herausforderungen von Digitalisierung, Internet der Dinge und Industrie 4.0.

Die Digitalisierung ändert die Art, wie wir leben und arbeiten. Wer, wenn nicht die Partei der Arbeit, wer wenn nicht die SPD, muss diese Digitalisierung menschenfreundlich gestalten?

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