Dass die französische Revolution ihre Kinder gefressen hat ist bekannt. Aber dass die IT ähnlich grausam mit ihren eigenen Ideen umspringt wie Robespierre anno 1790 mit den Idealen der brürgerlichen Revolution ist – zugegebenermaßen etwas verstiegen.
Aber vielleicht wird der Gedanke nachvollziehbar wenn man Revue passieren lässt, wie viele Ideen die IT in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht, dann zunächst wieder kassiert und erst sehr viel später (oft unter neuem Namen) frisches Leben eingehaucht hat.
Beispiel Objektorientierte Programmierung: Bereits Ende der 60er als Lösungsansatz für die Modularisierung und die Wiederverwendbarkeit von Code entwickelt, dauerte es bis weit in die neunziger Jahre, bis sie ihren Durchbruch erlebte. Obwohl heute Java, C++, C#, Python, Perl, PHP und Ruby nicht mehr wegzudenken sind aus der IT war die Objektorientierung auch Anfang der 90er Jahr noch umstritten. Sie galt als Orchideen-Ansatz, der sich in der kommerziellen IT nie durchsetzen würde.
Beispiel SOA: 1996 wurde der Begriff Service Oriented Architecture laut Wikipedia erstmals von Gartner verwendet. In den Jahren 2005 bis 2008 erlebte der SOA-Hype seine Hochblüte. Jeder redete darüber, vor allem Anbieter und Analysten, aber nur wenige Anwender verfolgten SOA-Projekte größeren Stils. Seit Mitte letzten Jahres scheint SOA wieder out zu sein, kaum jemand redet noch darüber, obwohl Protagonisten wie Johannes Helbig, CIO der Deutschen Post, glaubhaft erklären, noch nie so viele Projekte und Interesse auf Anwenderseite erlebt zu haben wie heute.
Jüngstes Beispiel Cloud Computing: Vor etwa zwei Jahren aufgekommen und im letzten Jahr enorm nach oben gejazzt, lässt die Euphorie der Beteiligten schon wieder nach. Die üblichen Klagen über fehlende Standards, zu geringe Sicherheit, Datenschutzbestimmungen und drohendes Login werden zurzeit deutlicher betont als die Verbesserungen, die den Anwender erwarten würden wie geringere Kosten, höhere Auslastung der Ressourcen, kleinere IT-Mannschaften, bessere Verbindung wischen IT- und Business, höhere Geschwindigkeit und Flexibilität.
Wie lässt sich dieses Auf- und Ab neuer Konzept erklären, das Gartner griffig als „Hypecycle“ beschreibt? Dafür braucht es keinen wahnsinnigen Robespierre, sondern nur das Prinzip des geringsten Widerstandes, den die meisten IT-Anwender gehen. Erst wenn der Umstieg auf ein neues Prinzip relativ sicher erscheint, genügend Anbieter da sind, ausreichende Erfahrungen und die Migration von Alt nach Neu einfach geworden ist, steigen die meisten Anwender um. Also kann man streng genommen nicht davon sprechen, dass die Revolution ihre Kinder frisst. Sie hungert sie einfach aus.

Eine Antwort

  1. Ach Christoph, wir beide wissen doch, wie das geht: Jede neue Kuh wird medial so lange durchs Dorf getrieben, bis was Neues kommt. Davon leben wir Schreiber. Meien größte Sorge ist, dass irgendwann alles so gut funktioniert, dass die Anwender alle zufrieden und damit „hype-resistent“ werden. Dann müssten wir uns nach einer ehrlichen Arbeit umschauen 😉

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