Czyslansky-Freund Lutz Prauser hat ja hier gestern seine aktuelle Bettlektüre vorgestellt und eine kleine Reihe über den Lesestatus der Freunde Czyslanskys angekündigt. Derart in Zugzwang gebracht, habe ich nun den Papierstapel neben MEINEM Bett gesichtet. Und hier kommen meine Hinweise auf den aktuellen Lesestoff eines Frühjahrsmüden an den Osterfeiertagen:

Vorweg muss ich anmerken, dass ich häufig zwei bis drei Bücher parallel lese, abhängig von der Stimmung und der Lesehaltung: schwere Hardcover lieber im Schaukelstuhl, „leichte“ Paperback-Kost gerne auch in abendlicher Rückenlage. Beginnen wir also mit Geschaukeltem:

Yasar Kemal: Salih der Träumer

Von Kemal kenne und liebe ich alles. Ich bin quasi Kemalist.

Ich liebe seine poetische bilderreiche Sprache, seine elegische Weitschweifigkeit, seine ebenso schlichten wie phantasieanregenden Ausflüge über die Hochlande Anatoliens, die Cucurova oder die Ameiseninsel.

Salih der Trämer ist kein neues Buch. Es ist vielmehr schon 1976 im Original erschienen, aber – warum auch immer – erst im vergangenen Jahr im Unionsverlag in deutscher Übersetzung aufgelegt worden.

Das Buch handelt von Salih, einem träumenden Kind, von seinem Erwachsenwerden inmitten einer nach mitteleuropäischen Kriterien nicht allzu kinderfreundlichen Umwelt unter den Fischern der türkischen Schwarzmeerküste.

Hat der Roman eine Geschichte? Ja und nein. Natürlich ist es die Geschichte des kleinen Salih. Viel mehr aber ist es ein Bild, eine ungeheuer detailreiche und stimmungsvolle Aufnahme einer ganz bestimmten Region in einer ganz bestimmten historischen Epoche der Türkei. Kemal schildert eindrücklich Familienbeziehungen, das Leben der Fischer, die Probleme der Pubertät, aber auch die politische und gesellschaftliche Situation der Türkei in den siebziger Jahren, den Modernisierungsdruck und die politische Gewalt, die die türkische Gesellschaft kurz vor dem vierten Militärputsch auszeichnet. Kemal ist ein großartiger „Storyteller“, ein türkischer „Meddah“ und wer sich gerne entführen lässt in die Wirklichkeit, der wird von Kemal, hat er einmal eines seiner Bücher gelesen, nicht mehr fort kommen.

Thomas Mann: Der Zauberberg

Neben Kemal, dem türkischen Schriftsteller, der längst den Nobelpreis verdient hätte, ein deutscher Nobelpreisträger, ein Buch, das ich vor vielleicht dreißig Jahren schon einmal gelesen und vor einigen wenigen Jahren schon einmal in einer langen Hörspielreihe des Bayerischen Rundfunks gehört habe: Thomas Manns Zauberberg! Für die tausend Seiten der „Großen kommentierten Frankfurter Ausgabe“ werde ich wohl eine Weile brauchen. Ich bin gerade mal auf dem Berg angekommen. Hans Castorp weiß noch nicht, dass er noch rund 900 Seiten im Sanatorium aushalten wird müssen. Wüssten die Protagonisten unserer Bücher, was wir Leser wissen, wie würden sich die Erzählungen wohl entwickeln?

Der Zauberberg ist eine wunderbare Antithese zum Taurus, in dem viele der Romane Kemals spielen. Mann schreibt „gegen“ Kemal, schreibt weniger bodenständig, weniger bäuerlich, ja artifiziell. Seine Sätze verfahren sich über halbe Seiten und doch ist beiden Schriftstellern die große Kunst des Erzählens gleichermaßen zu eigen. Bei Kemal erholt sich der Geist von Mann – und umgekehrt. Das war nicht die Absicht, mit der ich beide Bücher gleichzeitig mir zur Lektüre gewählt habe –  vielleicht aber der Grund.

Im Übrigen ist der Zauberberg so bekannt, dass ich auf den Inhalt des Buchs an dieser Stelle nicht mehr eingehen will. Zweckdienlicher ist vielleicht ein Verweis auf ein wunderbares Restaurant gleichen Namens in München: im Restaurant Zauberberg in der Münchner Hedwigstraße isst man ganz vorzüglich zu fairen Preisen. Und der schöne Spruch vom Zauberberg-Koch Thomas Rüppel „Das Schwierigste am Kochen ist immer noch das Einfache“ verweist ja dann doch schon wieder auf Kemal …

Auf der Warteliste: Veit Heinichen und Don & Petie Kladstrup

Ich liebe Krimis, nicht viele, aber einige. Besonders gerne lese ich Krimis, die Wert auf das regionale Sujet „hinter“ der Tat legen, die uns in die Straßen, Häuser, Kneipen und Restaurants entführen, in die Entführte und Entführer leben. Auf der Basis solch sorgfältig recherchierter Ortskenntnisse ist es eine Freude nach der Lektüre den Ort des Grauens zu bereisen.

So habe ich vor Jahren Triest kennengelernt, auf den Spuren Proteo Laurentis, des Kommissars, der sein Leben Veit Heinichen verdankt. „Im eigenen Schatten“  ist gerade erst bei Zsolnay erschienen und ich bin schon voller Vorfreude.

Don & Petie Kladstrup schreiben in „Wein & Krieg“ über Wein. Und über Krieg. Schon der von beiden zitierte französische Trinkspruch aus der Zeit der deutschen Besatzung „Noch eine Flasche weniger für die Deutschen“ hat mich auf das Buch neugierig gemacht.

Der Klappentext verspricht: „Dieses Buch handelt vom Mut und von der Phantasie der Franzosen, ihr wertvollstes Juwel vor der deutschen Besatzung zu retten: Eisenbahner ließen ganze Züge mit Weinlieferungen im Nichts verschwinden. Eine Teppichreinigung versorgte die Pariser Sommeliers mit Staub, um jungen Wein als uralte Raritäten den deutschen Gästen servieren zu können.“ Gelebter Antifaschismus zwischen zwei Buchdeckeln. Das wird lustig und sicherlich ein Schaukelstuhlbuch – mit einem feinen Madiran oder Cahors im Glas.

Sachliches und Nützliches

Neben aller Belletristik braucht das Hirn auch was zum Lernen. Durch einen besonders dicken und schwerfälligen Vertreter der Kategorie Sachbuch wühle ich mich derzeit weniger mit Leidenschaft, als mit Leiden: „Google Analytics“ von Timo Aden. Die Computerwoche preist dieses Werk als „eine detaillierte Gebrauchsanleitung für eines der augenblicklich leistungsstärksten Web-Analyse-Tools“. Na gut: Spaßlesen ist anders …

Die zweite Folge von Czyslanskys Bettlektüre soll aber doch mit einem „schönen“ Buch enden, mit Band 99 der Bibliothek Suhrkamp. Und das nicht nur aus Solidarität mit diesem so wichtigen Verlag, der hoffentlich seine Krise bald überwinden wird, sondern weil Band 99 mir gerade als schönes und hilfreiches Werkzeug zum Gehirntraining dient. Ich übe nämlich ein Hobby aus, das leider im Aussterben begriffen ist: ich lerne gerne Gedichte auswendig! Zur Zeit übe ich  – ab und an – Gedichte von Pablo Neruda ein. Das kleine Suhrkamp-Bändchen stellt die deutschen Übersetzungen den spanischen Originalen gegenüber. Ein Beispiel gefällig? Gerne:

Ode an die Zwiebel

Zwiebel,
leuchtende Phiole,
Blütenblatt um Blütenblatt,
formte deine Schönheit sich,
kristallene Schuppen
ließen dich schwellen,
und im Verborgenen der dunkeln Erde
füllte dein Leib sich an mit Tau.

Verschwenderisch
läßt du
deinen Globus der Frische zergehn
im verzehrenden Sud
des Topfes
und der kristallene Saum
in des Öls entfachter Hitze
verwandelt sich in eine gekräuselte Feder von Gold.

Ach lest es doch selbst … 

 

 

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