Thomas Pfeiffer hatte bekannte Namen aufs Podium geladen: Tatort-Autor Jochen Greve, Grünen MdB Dr. Konstantin von Notz, Verbandssprecher Reinher Karl und Piraten-Kapitän Bruno Kramm (von links)

Wenn ein Auto nichts taugt, nennt man es Montagsauto, weil am Montag „die Genauigkeit der Arbeit leidet“, wie Volksmund und Wikipedia wissen. Der letzte Münchner Twittwoch fand an einem Montag statt. Das mag manches erklären …

Eines vorneweg: die Diskussionskultur war erbärmlich und weder dem Thema, noch dem Niveau der meisten Podiumsgäste angemessen. Die Stimmung erinnerte stark an  die Südkurve, die Beweglichkeit auf dem Spielfeld (also vorne) an die Abwehr von Chelsea: stark im Mauern, in den Zweikämpfen dominierte die Blutgrätsche. (Bilder aus der Arena gibt’s übrigens hier)

Das Publikum johlte stets ergeben, wenn vorne mal wieder einer den Kramm machte – warum erinnert er mich eigentlich immer an die luftpiraten? – und es braucht einen nicht zu wundern, dass bei dieser Nichtdiskussion wenig herauskam, da die zahlreich anwesenden vor sich hin tastenden Twitterati sich darüber austauschten, was denn besser sei: dieser Twontags-Twittwoch oder „Hart aber fair“. Hier wie dort geht es längst nicht mehr um einen zielführenden Diskurs, sondern um bloßen Schlagabtausch. Fast musste man Jochen Greve bewundern, dass er so bereitwillig den Watschenmann (und „paternalistischen Schwätzer“, wie er im Tweet von tobi_s beschimpft und fehleingeschätzt wurde) gab. Und fast hätte man für den Wutbrief der 51 Tatort-Schreiber  noch Sympathien entwickeln können – was schwer fällt angesichts der dort formulierten Verallgemeinerungen und Plattheiten, aber das hatten wir hier schon abgefeiert. Greve hatte auf Grund der zahlreichen Zwischenrufe aus dem Publikum nur selten die Chance einen Satz zu Ende zu formulieren und wenn er mal wieder einen Gedanken nicht zu Ende führen konnte, lag dies nicht in jedem Fall an ihm.

Aber wenn man schon die recht liberal denkenden Leute wie Greve und Karl zu Buhmänner erklärt, wie will man sich dann erst mit jenen auseinandersetzen, die das Recht auf Privatkopie wieder verbieten und die Medienlandschaft sicher zurück in die fünfziger Jahre befördern wollen?

Alles über einen Kramm

Und was ist von einem Kramm zu halten, der – immerhin laut Laufzettel „Urheberrechtsbeauftragter der Piratenpartei Deutschland“ – einem Mitdiskutanten vorhält „Also deine Argumente sind ja so was von gestern, die braucht man gar nicht erst zu diskutieren“? (sinngemäß zitiert aus der Erinnerung).

Kramm war es denn auch, dem überdeutlich anzumerken war, dass er kurz vor einem großen Jubiläum steht. In wenigen Tagen feiern seine aktuellen Argumente ihren dreißigsten Jahrestag, denn so lange schon müssen wir uns die Mär von den Raubkopierern als stille arme Fans anhören. Ich zitiere wieder aus dem Gedächtnis: „Es gibt zahlreiche Studien, die eindeutig belegen, dass Raubkopierer besonders viel Geld für Software/Musik/Filme ausgeben. Sie kopieren nur, um die Produkte zu testen, ehe sie sich für einen Kauf entscheiden“ (hu hu – ist der komisch …), worauf gleich ebenso eilfertig wie beleidigt eine Frau aus den Rängen beisprang „und überhaupt gibt es die besten Dinge ja gar nicht zu kaufen“. Man hole sich doch aus den Peer-to-peer-Netzen eh nur die Dinge, die einem der Markt vorenthalte. „Ihre Krimis, Herr Greve, stehen ja nur eine Woche auf der Website der ARD und dann sind sie weg“.

Aber sicher doch: die Hitliste der illegal getauschten Video- und Musik-Titel wird von höchstwertigen Independent Labels und historischen Krimis angeführt … ! Wie twitterte nicebastard: „Wer einen erlesenen Film- und Musikgeschmack hat, wird wissen, daß gerade Backlist-Titel keineswegs alle legal zu erwerben sind“. Oh Ihr Inhaber erlesener Musikgeschmäcker: das ist schon richtig. Aber auch wenn euch das manchmal so deucht: Ihr seid nicht das Auge im Orkan der Tauschbörsen! Und deuxcvsix bejammert sich twitternd „Wo bekomme ich die Filme auf denen die Urheber sitzen, wenn sie 20 Jahre alt sind?“ und merkt nicht, dass nicht die Urheber auf den Werken sitzen, sondern die Verwerter, die Verlage und die Medien. Die Urheber hätten doch ihre Werke liebend gerne wieder zurück, wenn sie nicht mehr aktiv vermarktet werden. Deren Rechte auf „Rückholung“ zu stärken ist doch ein Teil aller seriösen Debatten um ein neues Urheberrechtsgesetz. Und die Urheber hätten ja auch ein gewisses moralisches Recht daran ihre alten Stücke unter Verschluss zu halten, zu denen sie vielleicht nicht mehr stehen. Im Zeitalter des Internet wird man auf dieses Recht allerdings verzichten müssen. Was einmal public war bleibt public und das Netz vergisst nichts.

Und die kommerziellen Download-Archive, auf deren Existenz Moderator Pfeiffer mit den drei „f“ dezent hingewiesen hat, sind ja laut Kramm auch viel zu kompliziert und qualitativ „nicht ausreichend“. Mensch Kramm: Sprichst du eigentlich über die gleiche Welt wie ich? Die viel zitierten Studien – nein, zitiert werden sie ja nicht – die nachweisen sollen, dass Raubkopien letztlich den legalen Markt befördern hat es schon in den Achtzigern, als ich noch im Auftrag von Microsoft gegen Softwarepiraten ins Feld zog, nicht gegeben. Es gruselt, wenn man sich anschaut, wie viele Twittwoch-Tweetys dieses Gesülze als neue Wahrheit für sich entdecken.

NOTZen statt Motzen

Man könnte sich diese ewiggestrigen Peinlichkeiten auch ersparen und einfach wie Notz die notwendigen Veränderungen im Urheberrecht defensiv fordern: Wir brauchen eine Legalisierung von nicht-kommerziellen Tauschbörsen, weil sich die Mentalität der Menschen und mit ihr deren technische Möglichkeiten grundlegend verändern. Nicht anders, als vor Jahren das damals neue Recht auf Privatkopie meinen ersten Cassettenrecorder zur Waffe des Wellenjägers machte. Man muss doch die Piraterie nicht erst kapitalismustauglich zur Marktstimulanz verklären, um sie systemintegrativ legalisieren zu können. Wir erleben einen grundlegenden Systemumbruch in der Verwertung geistiger Waren und wir sollten versuchen diesen Umbruch konstruktiv so zu gestalten, dass die Anzahl der künstlerischen Leichen sich wenigstens eingrenzen lässt – um mal im Tatort-Jargon zu bleiben. Das Urheberrecht braucht keine Reform, sondern eine Revolution und man sollte auch offen sagen, dass dies ohne Blutvergießen nicht abgehen wird.

Konstantin von Notz hat einige sehr interessante Aspekte einer Neuorganisation des Urheberrechts angesprochen. Leider hat sich gestern niemand so recht für diese Themen interessiert. So deutete er immerhin die Idee einer Unterwerfung des öffentlich-rechtlichen Programms unter das Creative-Commons-Lizenzmodell an. Ein bestechender Gedanke, der seit einiger Zeit nicht nur bei den Grünen diskutiert wird: Werke, die unter öffentlich-rechtlicher Regie entstehen – ja: Co-Produktionen v.a. in der Filmwirtschaft müssten teilweise ausgenommen werden – , müssten dann erstens dauerhaft publiziert und könnten dann zweitens beliebig von allen Bürgerinnen und Bürgern genutzt, kopiert und verändert, aber nicht kommerziell vermarktet werden.

Selbstverständlich müssten dann die Autoren dieser Werke mehr Geld erhalten – Greve sprach von 25.000 €, die ein Tatort-Drehbuchschreiber heute für die Erstausstrahlung erhält -, da ja auch die Folgeverwertung abgegolten werden müsste. Und die GEZ-Gebühren müssten wohl noch ein wenig steigen und könnten endgültig von einer geräte- oder haushaltsbasierten Abgabe in eine steuerfinanzierte staatliche Leistung überführt werden. Damit hätte das öffentlich-rechtliche Modell auch eine nachhaltige Bestandsgarantie gegenüber kommerziellen Anbietern erreicht und käme aus der parteipolitischen Dauerrechtfertigung im Online-Business heraus. Die politische Streitkultur um die Inhalte und die Verteilung der Einnahmen würde weitergehen. Und das ist gut so. Der gesellschaftliche Diskurs um E-, U- und Beutelkultur gehört zum Kern einer demokratisch verfassten Gesellschaft. (Einschub: da fällt mir schon wieder unser krachlederner Liberalpirat ein, der die Unterscheidung zwischen E und U gestern per Dekret einebnen wollte und gar nicht merkt, dass er so nur die St-Pauli-Variante des seeligen Helmut Thoma gibt). Die öffentlich-rechtlichen Medien könnten zum Kern einer Kultur-Flatrate werden. Sie sind es über die GEZ ja eigentlich schon.

In den Grüften des Tatort

Wenn da nicht unsere Tatort-Schreiberlinge und Verbandsfunktionäre wären! Das ist das traurige am katastrophalen Diskussionsverlauf des gestrigen Twontags: dass die Vertreter des „alten Systems“ so unsäglich langsam lernen. Und dabei haben wir gestern noch zwei der fortschrittlicheren Sorte erlebt (ich sagte es schon). Reinher Karl ging sogar so weit, dass er die nicht-kommerzielle kreative Weiterverarbeitung geistiger Werke für grundlegend rechtens erklären würde. Das habe ich aus dem Verbandswesen bislang noch nie gehört. Weiter so.

Andererseits erschreckten uns Karl und Greve mit den alten längst geschliffenen Verteidigungslinien der Strafverfolgung. Recht, das sich nicht durchsetzen lässt, muss sich aber verändern. Nur so entgehen wir auch dem Kontroll- und Überwachungszwang. Nur so verhindern wir die Lähmung der Dynamik, die in den neuen sozialen Medien steckt.

Und auch die Messianisierung von Google und Youtube hilft da nicht weiter: Greve forderte mal wieder eine Abgabe auf Youtube, Google und Facebook für die dort verbreiteten Werke. Google soll alle Schuld auf sich nehmen und uns alle erlösen. Aber jeder Telefonbuchverlag lebt davon, dass ich ein Telefon habe, jeder Stadtplanhersteller lebt davon, dass ich eine Adresse habe und andere Menschen mich – und manchmal auch andere – suchen. Tantiemen habe ich von dort noch nie erhalten. Warum sollte das bei Google anders sein? Auch Google ist letztlich ein Verzeichnis. Wenn man schon ständig legalistisch argumentiert wie die Tatortschreiber, dann sollte man nicht gerade wie es einem passt mitten im Lauf die Argumentationsmuster wechseln.

Mir hat die Diskussion auf und hinter dem Twittwoch vor allem gezeigt, dass wir die Debatte um eine radikale Veränderung des Urheberrechts nicht anarcholiberalen Stimmungspiraten überlassen dürfen. Eine konkrete Ausgestaltung neuer Verwertungsmechanismen für geistige Erzeugnisse bedarf einer Debatte um konkrete Lösungsalternativen. Und Phantasie. Lautes Gejohle wird uns jeden Fortschritt nur versperren. In diesem Sinne war dieser Twittwoch kein konstruktiver Beitrag zur Debatte. Und das ist schade, denn Thomas Pfeiffers Engagement hätte besseres verdient. Weil das Wattebausch-Werfen zu guter Letzt eine so schöne Tradition ist: Danke Thomas. War gut gemeint.

Nachgeschobenes: Jetzt ist auch der Mitschnitt dieses Twittwochs online:

 

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