25 Jahre World Wide Web?

Was bitte soll man schreiben zu einem Thema, zu dem bereits Tausende von Beiträgen im Netz erschienen sind? Welche erhellenden, wissensvermehrenden Dinge könnte ich noch beisteuern?
Wenn alles gesagt ist, nur eben noch nicht von allen, wie Karl Valentin es dereinst formulierte, warum soll ich mir die Mühe machen und noch einen weiteren Text schreiben?
Lobeshymnen auf das Internet gibt es genug: Welch ein Segen es ist und welch eine Erleichterung: Trotz Ladenschlussgesetzen in Deutschland rund um die Uhr einkaufen zu können, Zugang zu allen erdenklichen Informationen und Pornos zu haben, im Mitmachnetz Shitstorms entfachen oder Onlinepetitionen ausrufen zu können, endlosen Forendiskussionen über die richtige Reparatur eines Ford Mustang zu führen… Das alles braucht’s. Unbedingt.
Sie kennen das.
Das andere das anders sehen, liegt in der Natur der Dinge. Wo, wenn nicht im Netz in irgendeinem Forum kann man zu einer simplen These zehn Meinungen von nur fünf Leuten nachlesen? Und wo, wenn nicht im Netz, kann man an allem und jedem rummäkeln? Selbst am Netz selbst. Auch das kennen Sie…
Was also schreiben?
Sicher, ich könnte stattdessen etwas Persönliches schreiben, aber wen interessieren schon meine ganz individuellen ersten Gehversuche im Internet?
Sie, lieber Leser?
Wenn nicht, dann beenden Sie jetzt die Lektüre.
Das Netz gibt es schon lange und vor allem viel länger, als ich es kenne. Ich bin ein Digital Immigrant, ich kenne noch eine Welt, in der man Steve Jobs, Bill Gates, Jeff Bezos oder Mark Zuckerberg und ihre Ideen für Phantasiegestalten aus einem Science Fiction hätte halten können, in der die wahren Helden der Zukunft Flash Gordon, James T. Kirk oder Cliff McLane hießen – oder von mir aus auch Barbarella.
Meine ersten Berührungen mit dem sagenumwobenen Internet hatte ich Mitte der 90er bei einer Firma, für die ich damals arbeitete. Als dort ein erster Computer online ging, stand dieser in einem abgeschlossenen Raum. Netzzugang hatte, wer den Registrierungscode für diesen Rechner wusste und sich im Sekretariat der Geschäftsführung den Schlüssel für die Tür holte. Beides war nicht für jedermann zu haben.
Die Rechnerzeit war für alle Kollegen limitiert, man musste sich nach der Nutzung in eine ausliegende Liste eintragen, inklusive Grund, warum man im Netz war. Nicht etwa, dass am Ende noch jemand auf die Idee gekommen wäre, Schabernack zu treiben oder gar das Netz für private Belange wie Wohnungssuche oder so zu nutzen. Von etwaigen Onlinespielen oder pornografischen Inhalten war nicht die Rede, so etwas gab es damals noch nicht… und wenn doch: Niemand von uns wusste etwas davon. Trotzdem herrschte schon damals das Misstrauen, Arbeitnehmer würden den Arbeitgeber nicht nur um Arbeitszeit betrügen sondern auch unverhältnismäßige Netzkosten generieren, wenn man auf einer Internetseite zum Beispiel die Preise für ein gebrauchtes Auto recherchierte oder sich das Firmenprofil von dem Unternehmen, bei dem der Schwager der Nachbarin arbeitete, anschaute. Denn Internet war ein teurer Luxus damals.
Diese Form der Netzkontrolle hat heute im Rückblick etwas unvorstellbar Naives und Unbeholfenes, fast so wie Erdogans Versuche, mittels Twitter- und Youtube-Blockaden die Verbreitung ihn kompromittierender Dokumente und Nachrichten zu verhindern. Aber damals, vor über 20 Jahren, war das eben so – und nicht etwa in Ankara sondern in Frankfurt am Main. Heute ist das kaum mehr vorstellbar.
Um up to date zu sein, schafften wir uns daheim einen neuen Rechner an, dazu ein Modem. Fortan krochen wir mit schöner Regelmäßigkeit unter den Schreibtisch, steckten alles um und wieder zurück und trotzdem war die Datenübertragung weder stabil noch schnell. Seite aufrufen, Kaffee holen, wieder zum Schreibtisch zurückkehren und schauen, wer schneller war: Das Netz oder ich… Die Zeiten haben sich geändert. Kaffeemaschinen haben vorgelegt und reagieren auf Knopfdruck. Rechner auch. Manchmal. Und Internet ist auch in der Arbeitswelt keine Verschlusssache mehr – zumindest nicht mehr so, wie ich es erlebt habe.

Blicke ich aber noch weiter zurück auf die Zeit, in der das Internet noch in der Babywindel lag, also 1989, war in meinem praktischen Leben keine Spur von dieser Neuerung zu bemerken. 20140401_125639

Wir saßen in den Examensvorbereitungen, lernten eifrig in den staubigen und überheizten Bibliotheken und schrieben unsere Texte daheim auf einem Atari 1040stf Rechner in einem Programm names „Signum“, für das wir viele Abende hatten kellnern, babysitten, Zeitungen austragen oder Kinokarten abreißen müssen. Unermüdlich brummte nachts der Nadeldrucker. Das dauerte. War man Snob, hatte man 24 Nadeln. Sonst tat es ein 9-Nadler auch, war eine kaputt, gab es wunderbare weiße Streifen auf dem Schriftbild. Besonders gewiefte Mitstudenten hatten den Trick raus, eine Typenrad- oder Kugelkopfschreibmaschine an den Rechner anzuschließen. Private Laptops in der Uni-Bibliothek? Keine Spur. Terminals? Klar, die gab es: Den Zentralkatalog auf Mikrofilm, die Ergänzungen allerdings nur auf Karteikarten.
Und die akademische, wissenschaftliche Arbeit, die wir abfassten? Entweder man wusste etwas oder man wusste es eben nicht. Wenn nicht, was wohl häufiger der Fall war, bediente man sich der Lexika. Das waren jene großen und schweren Bücher, die man aus den Regalen räumte und abends wieder zurückstellen musste. Die Älteren werden sich daran erinnern. Bitter war das, wenn man Querverweisen folgte. Dann nämlich musste man wieder Bücher heranschleppen. Alles Wissen war weit entfernt, nicht nur einen Klick weit wie heute bei weiterführenden Artikel in den Wikis. Pech nur, wenn erst die ersten vier Bände einer Lexikonreihe erschienen waren und man nach irgendwas mit St… nachschlagen musste. Pech auch, wenn die Bände schon zehn Jahre alt waren und das Wissen entsprechend veraltet war. Zitate schrieb man in der Bibliothek ab (mit Hand!) oder kopierte sich die Seite aus der Monographie für nen 10er. Daheim tippte man alles mehr oder weniger fehlerfrei in seine Diplomarbeit. Dozenten oder deren Mitarbeiter machten sich die Mühe, die Zitate auf ihre Richtigkeit zu kontrollieren. Denn falsches Zitieren war eine Todsünde, der mindestens zu Punktabzug führte und im Wiederholungsfall einem akademischen Selbstmord gleich kam.
Copy & Paste war noch nicht erfunden – ganze Textblöcke abzukupfern ein mühseliges und teures Unterfangen, weshalb das Plagiieren auch wenig effektiv war. In der Zeit hätte man das Ganze auch selbst schreiben können. Und das taten wir dann auch.
Damit soll jetzt nicht gesagt sein: Früher war alles besser. Oder gar: Wir hatten ja nichts, früher, als der Schnee noch meterhoch lag und wir zur Schule und später zur Uni… lassen wir das.
Damit soll nur gesagt sein: 25 Jahre können eine verdammt lange Zeit sein.

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