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Der Begriff „Freund“ hat im Zeitalter des Internet eine seltsame Metamorphose durchgemacht. Früher, als die Drei von der Tankstelle noch im Chor den Gassenhauer schmetterten „Ein Freund, ein guter Freund, das ist das beste was es gibt auf der Welt“, da war das anders: Einem Freund konnte man tief in die Augen schauen, auf den war Verlass, man ging miteinander durch Dick und Dünn und nur der Tod konnte, ähnlich wie eine Ehe, eine solche Freundschaft scheiden. Aber das ist lange her.

Ich habe heute 663 Freunde auf Facebook. Viele davon kenne ich sogar persönlich, aber natürlich längst nicht alle. Und ob einer von denen mit mir durch Dick und Dünn gehen würde, weiß ich nicht – habe aber so meine Zweifel. Aber das ist auch gar nicht so wichtig, denn Freunde haben eine andere Funktion bekommen: Sie sind für mich Publikum und Knoten in meinem persönlichen Beziehungsnetzwerk. Wenn ich etwas poste, dann tue ich das in der Hoffnung, das zumindest einige von ihnen das mitkriegen und im besten Fall sogar darauf mit einem Kommentar oder wenigstens mit einem „Daumen hoch“ reagieren, denn sie zeigen mir damit, dass ich doch nicht ganz alleine bin hier in dem endlosen Weiten des Cyberspace. Insofern sind sie wirklich Freunde, nämlich Beziehungspersonen: Leute, die in meinem Leben eine vielleicht kleine, aber messbare Rolle spielen und auf deren Urteil ich Wert lege.

663 sind nicht viele. Es könnten genauso gut 4.999 sein. Mehr lässt Facebook nicht mehr zu, nachdem der US-Komiker Steve Hofstetter es geschafft hatte, über 200.000 zu sammeln und die Server anfingen heiß zu laufen. Dafür habe ich aber 823 „Follower“ auf Twitter, wo ich allerdings auch ein Waisenknabe bin. Angeblich hat die amerikanische Sängerin Katy Perry („Firework“)  über 52 Millionen, gefolgt von Justin Bieber (51 Mio.) und Barack Obama (42 Mio.) Ich dachte immer, Lady Gaga sei die Nummer eins, aber die liegt ja mit 41 Millionen abgeschlagen auf Platz 5.

Höchste Zeit also, etwas für meine Popularität in den Sozialen Medien zu tun. Zum Glück ist Abhilfe nicht weit. Wie Nick Bilton in den New York Times schreibt, hat er kürzlich 4.000 Facebook-Freunde für fünf Dollar gekauft („so viel wie eine Tasse Kaffee“). Für $3.700 hätte er auf Instagram eine Million (!) Freunde bekommen können.  Und für 40 Dollar extra hätten 10.000 von ihnen sogar sein jüngstes Foto eines Sonnenuntergangs „geliked“, wie es Neudeutsch heißt.

Nun drängt sich natürlich die Frage auf: Warum? Wer hat es denn nötig, sich mit Freunden zu brüsten, für die er bezahlen muss? Die Antwort ist ganz klar: Jeder, es im medialen Zeitalter zu etwas bringen will. Freunde sind inzwischen zu einer Art von Währung geworden. Das ist natürlich nicht neu: Verlage und Fernsehsender erheben und veröffentlichen regelmäßig Leser- und Zuschauerzahlen, in der Branche gerne als „Lügen-Listen“ verspottet, und bei ihnen geht es um sehr viel Geld, weil sich die Preise für Anzeigen und Spots nach der so genannten Reichweite berechnet werden. Um es in der Fachsprache auszudrücken: Der Anzeigenkunde kauft „eyeballs“, also Blickkontakte.

Bei Facebook & Co. ist es ein bisschen anders, denn man geht davon aus, dass jemand, der auf einen „Like“-Knopf drückt oder sich als Follower einträgt, damit nicht nur eben mal draufgeschaut hat, sondern aktiv geworden ist. „Partizipation“ nennt man das, und das ist angeblich viel mehr wert als die bloße zur Kenntnisnahme. Also definiert sich der Marktwert (vom Selbstwertgefühl ganz abgesehen) eines Promis, eines Politikers, eines Spitzensportlers oder einer Marke heute zunehmend über die Zahl der Freunde, Follower oder sonstiger erklärten Anhänger in den Sozialen Medien.

Aber wenn der gute Nick Recht hat, dann ist das alles für die Katz‘! In dem Zusammenhang ist ein Interview interessant, den Nestlés Mediachefin Tina Beuchler neulich in der „Lebensmittel Zeitung“ gab und in der sie über die schwindende Werbewirkung von Facebook klagt. Eigentlich ging es um bezahlte versus unbezahlte Werbung, aber es war trotzdem ein deutliches Raunen in der Branche zu hören als sie sagte: „Durch die Entwicklung zu einem Paid-Media-Kanal sind wir gezwungen, die Rolle von Facebook als digitales Zuhause unserer Marken zu überdenken.“ Das grenzt ja geradezu an Lèse-majesté – dafür schlug man so jemandem früherden Kopf ab!

Was Beuchler und andere bemängeln ist die in letzter Zeit deutlich sinkende organische Reichweite in den diversen sozialen Kanälen. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass die vielen Kunden, die Nestlé & Co in Kärrnerarbeit über ihre neugeschaffenen Social Media-Abteilungen ansprechen wollen, in Wirklichkeit gar nicht existieren.

Von meinen 663 Facebook-Freunden bin ich dagegen ziemlich sicher, dass sie Menschen sind aus Fleisch und Blut. Aber ich bin auch ein bisschen wählerisch: Ich klicke nicht auf jedes Foto einer hübschen Asiatin, die dringend meine Freundin werden will und einen Namen trägt wie „Julia4711#“, denn die ist ziemlich sicher ein Bot oder eine Botin. Was mich übrigens an eine Studie von TNS-Infratest aus dem Jahr 2010 erinnert, in der es hieß, die Malaysier hätten die meisten Facebook-Freunde, nämlich im Durchschnitt 233. Nachträglich denke ich, es wäre gut, diese Statistik nochmal zu hinterfragen.

 

 

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